Der Verrat
Director of Operations José Juarez und Deputy Director Roger Billings. Alle drei saßen schweigend da, die Hände auf das polierte Holz des langen Tisches gelegt. Sie warteten offensichtlich darauf, dass sie als Erste das Wort ergriff. Kennedy trat ans andere Ende des Tisches, wo eine versengte amerikanische Fahne eingerahmt war. Irgendjemand hatte sie aus den Trümmern des World Trade Centers geborgen.
Kennedy zog einen Sessel heraus und wandte sich den drei Männern zu. »Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe«, begann sie. Sie wollte sich gerade setzen, als sie ein Exemplar der New York Times unter ihrer Briefing-Mappe liegen sah. Sie schob die ledergebundene Mappe beiseite. »Möchte jemand etwas zu trinken haben, bevor wir anfangen?«
Alle drei schüttelten den Kopf. Kennedy setzte sich auf ihren Platz und legte ihre Lesebrille auf die Briefing-Mappe. »Also, was haben wir heute Morgen?«, fragte sie.
Juarez saß zu ihrer Linken. Die dunklen Ringe unter seinen Augen traten heute deutlicher hervor als sonst. Wahrscheinlich hatte Tom Rich gestern Abend auch ihn angerufen, um ihn zu einer Stellungnahme zu bewegen. Sie hegte keinen Zweifel daran, dass er nichts gesagt hatte. Von den beiden Männern zu ihrer Rechten hätte sie das nicht mit Sicherheit sagen können. Sie waren gute Leute, doch sie hatten nicht die unerschütterliche Haltung von Juarez, der in früheren Jahren so manchen heiklen Einsatz draußen im Feld hinter sich gebracht hatte. Er würde sich nicht von einer drohenden Untersuchung einschüchtern lassen, und auch nicht von der Möglichkeit eines Wechsels an der Spitze der Agency. Workman und Billings hingegen waren in gewisser Weise Schreibtischhengste. Sie hatten den Großteil ihrer Karriere hier in Washington verbracht und sich ein nettes Zuhause für ihre Familien geschaffen; Workman hatte drei Kinder, Billings sogar vier. Die ältesten gingen schon aufs College, was einen gewissen finanziellen Druck bedeutete, und die jüngeren würden ihren Geschwistern bald nachfolgen, was den Druck nicht geringer machte. Sie waren beide Ende vierzig, und sie kamen wohl beide als mögliche Nachfolger infrage, falls Irene Kennedy den Hut nehmen musste. Und das schien aus ihrer Sicht beschlossene Sache zu sein. Juarez hingegen wusste, dass er das Spitzenamt nie bekommen würde – dafür fehlte ihm das nötige Fingerspitzengefühl. Er war ganz einfach jemand, der auch den Mächtigen die Wahrheit ins Gesicht sagte.
Um Direktor der CIA zu werden, musste man vom Präsidenten nominiert und vom Senat bestätigt werden. Es hatte immer wieder Präsidenten gegeben, die genau wussten, dass sie auch Leute wie Juarez in ihrer Nähe brauchten, um ein Gegengewicht zu all den Schleimern zu schaffen, von denen sie zwangsläufig umgeben waren. Beim Senat war das anders, vor allem bei den älteren Senatoren, die schon drei oder mehr Amtszeiten hinter sich hatten. Sie empfanden abweichende Meinungen oft als Zeichen der Respektlosigkeit. Juarez konnte mit solchen Leuten nichts anfangen, und er gab sich auch keine Mühe, seine Abneigung zu verbergen. Workman und Billings hingegen bemühten sich sehr um das Wohlwollen der Senatoren.
Billings war Kennedys Nummer zwei. Er war in Vermont aufgewachsen und hatte die Dartmouth-Universität besucht. Er war durchaus verlässlich und hatte eine grundsätzliche Abneigung gegen Veränderungen jeder Art. Seine pessimistische, stets besorgte Haltung drückte sich auch in seinem Äußeren aus – bis hin zu dem strähnigen Haar, das er von links nach rechts gescheitelt trug.
Billings fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut, als er die Direktorin schließlich ansah. »Haben Sie heute die Times gelesen?«, fragte er.
Sie blickte auf die Zeitung hinunter, die vor ihr lag, und sah ihren Namen in großen Lettern auf der Titelseite. Es war ihr egal – ja, es berührte sie schon seit Jahren nicht mehr, ihren Namen gedruckt zu sehen. Sie hatte gründlich überlegt, wie sie mit der Sache umgehen sollte. Um halb elf würde sie sich mit dem Präsidenten treffen, und bis dahin wollte sie, dass so wenig wie möglich über Gazich bekannt wurde.
»Ich habe den Artikel gelesen.«
»Und?«, fragte Billings.
Sie musterte die beiden Männer zu ihrer Rechten und sah zwei besorgte Beamte, die ihr ganzes Berufsleben einer Sache gewidmet hatten, die sie für gut und ehrenhaft hielten. Sie wollten nicht, dass ihre Agency in einen weiteren Skandal verwickelt wurde.
»Es ist
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