Der Verrat
Angriff genommen. Die Amtsgeschäfte wurden von den zuständigen Beamten und Profis geführt, während die Politiker der alten Regierung bereits ihre neuen Jobs angetreten hatten oder nach solchen Ausschau hielten.
Präsident Hayes hielt in seinem Gespräch inne, als er Irene Kennedy kommen sah. »Da ist sie ja«, stellte er fest. »Die Frau der Stunde.«
Alle vier Augenpaare richteten sich auf Kennedy, und sie errötete ein wenig. »Warum sollte das so sein, Mr. President?«, fragte sie.
»Immer bescheiden, so wie wir Sie kennen«, sagte Hayes zu seinem designierten Nachfolger Alexander. »Aber das werden Sie selbst bald feststellen. Nichts gegen diese beiden Herrschaften hier«, Hayes zeigte auf Stokes und Roach, »sie haben sich ebenfalls ein großes Lob verdient – aber diese Dame … sie leistet wirklich exzellente Arbeit, und das wird von kaum jemandem registriert. Alle ihre Erfolge sind irgendwo in einem Keller in Langley archiviert. In hundert Jahren wird man in den Geschichtsbüchern über sie schreiben.«
Kennedy errötete. Wie angewurzelt stand sie zwischen der Tür und den Anwesenden. Sie war es nicht gewohnt, derart im Mittelpunkt zu stehen, sodass es ihr fast ein wenig unangenehm war.
Hayes lächelte und zeigte auf die Sitzmöbel gegenüber dem Schreibtisch. »Setzen wir uns doch.«
Zwei lange Couches, jede groß genug, um vier Erwachsenen bequem Platz zu bieten, standen einander gegenüber, mit einem gläsernen Kaffeetisch in der Mitte. Vor dem Kamin standen noch zwei Lehnstühle mit blau und golden gestreiftem Seidenbezug. Präsident Hayes bat Alexander mit einer einladenden Geste, sich neben ihn an den Kamin zu setzen – auf den Ehrenplatz.
»Möchte jemand Kaffee oder Tee?«, fragte Hayes in die Runde. Er beugte sich über den Tisch, hängte einen Beutel grünen Tee in eine Tasse und goss heißes Wasser darüber. Seine Hand zitterte ganz leicht. »Irene.« Er stellte die Tasse auf eine Untertasse und reichte sie der CIA-Direktorin.
Die unruhige Hand des Präsidenten war ihr nicht entgangen. Trotz der Medikamente, die er gegen die Parkinson-Krankheit nahm, war das Zittern in den letzten Monaten stärker geworden. Geistig war er immer noch voll auf der Höhe, aber sie verstand, warum er sich entschlossen hatte, auf eine zweite Amtszeit zu verzichten. Im modernen Medienzeitalter wurde man als Spitzenpolitiker ständig unter die Lupe genommen. Der politische Gegner hätte ihn als selbstsüchtig kritisiert, sich an sein Amt zu klammern. Aus Teilen seiner eigenen Partei wäre wahrscheinlich dieselbe Kritik gekommen, sodass seine Chancen auf eine Wiederwahl ohnehin stark gesunken wären. Mit seiner Entscheidung, nicht noch einmal anzutreten, hatte er sich seinen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert. Man würde ihn als weisen selbstlosen Mann in Erinnerung behalten. Kennedy konnte sich dieser Beurteilung nur anschließen. Robert Hayes hatte nie die Tatsache aus den Augen verloren, dass das Amt größer war als der Einzelne, der es innehatte.
Die drei anderen Männer nahmen Kaffee, und Hayes setzte sich neben Alexander an den Kamin. »Wo wohnen Sie in dieser Woche?«, fragte er seinen Nachfolger.
»Im Willard.«
»Ah«, nickte der Präsident zustimmend, »ein gemütliches altes Hotel.«
»Ja.«
»Die haben Sie hoffentlich in einem schönen Zimmer untergebracht«, sagte Hayes lächelnd.
»Im obersten Stockwerk.«
»Mein Angebot steht immer noch.«
»Das Blair House«, sagte Alexander mit tonloser Stimme.
»Es ist in der Nähe und sehr sicher.«
»Danke, Mr. President, aber ich habe in dieser Woche einfach zu viel zu tun. Die Partei hat mich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit Terminen eingedeckt.«
»Ja, man muss sich bei den Bonzen bedanken«, meinte Hayes, der die Prozedur gut kannte, nachdem er sie vor vier Jahren ebenfalls durchgemacht hatte.
Hayes kannte den Gouverneur von Georgia kaum, doch es war offensichtlich, dass er sich seit dem Anschlag auf die Autokolonne verändert hatte. Er wirkte irgendwie distanzierter und nachdenklicher. Sein Blick versprühte nicht mehr diese strahlende Zuversicht wie noch im Wahlkampf. Die Tragödie hatte ihm sicher zugesetzt. Der junge Mann tat dem Präsidenten leid. Diese Woche hätte für ihn eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung sein sollen. Vielleicht würden die Neuigkeiten, die er ihm mitzuteilen hatte, dazu beitragen, dass er die tragischen Ereignisse irgendwann verarbeiten konnte.
Hayes lächelte. »Also … wenn Sie es sich
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