Der Verrat
ihnen standen dicht hinter Gerald, als wollten sie ihm gleichzeitig den Rücken decken und neben ihm stehen. Mae erkannte die kleine, grauhaarige Frau namens Laura, aber nicht den Mann zu Geralds linker Seite. Er war jung und hatte braune, kurz geschorene Haare, war vielleichtAnfang oder Mitte zwanzig, nicht viel älter als Gerald selbst. Diese beiden beschützenden Magier sahen sehr ernst drein.
Gerald lächelte. Sein Lächeln lieà die ganze Gasse mit den grauen Ziegeln und dem gesprungenen BetonfuÃboden erstrahlen. EinenAugenblick lang wirkte die Situation normal, so als seien sie alle Freunde.
»Hi Jamie!«
»Hi«, antwortete Jamie leise.
»Ich hatte beim letzten Mal nicht die Gelegenheit, Hallo zu sagen, bevor du mich gelähmt hast«, sagte Mae laut, um zu zeigen, dass sie keineAngst hatte.
Gerald sah Mae an, und sie dachte daran, wie sie Gerald das erste Mal gesehen hatte:An einen Stuhl gefesselt und das Opfer spielend. Sie erinnerte sich daran, dass sie Mitleid gehabt und ihn sogar fast gemocht hatte.
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Aber ich freue mich, euch alle hier zu sehen.«
»Warum?«, fragte Nick grollend, so als würden sich in seiner Brust menschlicheWorte in ein Knurren verwandeln. »Hast du meinen reizendenAnblick vermisst?«
Er hatte sich auf eine eingestürzte Mauer gesetzt, dieArme auf die auseinandergespreizten Knie gelegt und sah alle drohend an. Gerald warf ihm einen Blick zu und sah dann schaudernd weg.
Jamie trat etwas näher zu Gerald heran. Er war vorgetreten, als Gerald ihn angesprochen hatte und stand jetzt ziemlich genau in der Mitte zwischen den beiden Gruppen.
Der Magier lächelte ihn an und wandte sich dann anAlan. »Du wolltest mich sehen? Hier bin ich«, sagte er. »Ich frage mich, ob du mir als Gegenleistung einen Gefallen tun könntest.«
Alan hielt seinem Blick stand. »Welchen?«
»Ich möchte mit dir reden«, verlangte Gerald. »Allein.«
Plötzlich verdunkelte ein Schatten die Sonne. Mae warf den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel hinauf, an dem Sturmwolken aufzogen und sich die Dunkelheit wieTentakel über das dunkle Blau ausbreitete.
DieWolkenbänder waren bereits schwarz wieTinte, als wollte jemand in einer fremden Sprache Drohungen undVersprechen an den Himmel schreiben. Mae sah wieder hinunter und in nachtschwarzeAugen.
Nick flüsterte: »Was willst du von meinem Bruder?«
»Das würde ich gerne mit ihm allein besprechen«, entgegnete Gerald sanft. »Ich habe nicht dieAbsicht, ihm etwas zu tun.Aber du kannst jetzt die Rolle des allmächtigen Beschützers aufgeben, Nick. Ich weiÃ, warum du hier bist.«
»Weil du Jamie manipulierst.«
»Genau«, erwiderte Gerald, »und du willst nicht, dass jemand anderes einenAnspruch auf ihn hat, solange du selbst nochVerwendung für ihn hast.«
Nick runzelte die Stirn und lieà scheinbar zufällig das Messer an seinem Handgelenk hervorspringen. Zwischen seinen Fingern erschien eine glänzend silberne Klinge, auf deren Griff seltsame Zeichen prangten, die Mae nicht erkennen konnte. Nick spielte damit herum, ohne hinzusehen. Er sah immer noch Gerald an.
»Ich wusste gar nicht, dass Jamie einenVerwendungszweck hat.«
»O bitte!«, sagte Gerald leicht ungläubig. »Wir wissen doch alle ganz genau, wie nützlich ein zahmer Magier für einen Dämon ist. Und hier ist Jamie, wie für dich gemacht. Er ist jung, leicht zu beeindrucken, er hat wahre Macht und er schuldet dir bereits etwas. Sobald du eineAusrede dafür hattest, bist du hergekommen, um ihm Schutz und Freundschaft anzubieten. Das passt doch alles zusammen!«
Nick stieà ein scharfes Lachen aus, doch Jamie war erstarrt.
Er blickte mit groÃenAugen voller Zweifel über die Schulter hinweg zu Nick und Mae sah im Geiste fast genauso deutlich wie er denVorfall von gestern.
He, Jamie, wollen wir Freunde sein?
»Nein«, sagte Jamie langsam. »Das siehst du falsch, Gerald. So ist Nick nicht.«
»Jeder ist so, Jamie«, entgegnete Gerald freundlich, als wolle er Jamie die harteWahrheit schonend beibringen. »Jeder will Macht.«
»Ich habe genug davon«, erklärte Nick. Dann lächelte er plötzlich grimmig. »Oder willst du mich etwa testen?«
»Ich würde an deiner Stelle keine Drohungen aussprechen, Dämon«, warf Laura ein. »Hast du genug Macht, um deine
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