Der verruchte Spion
…«
Nathaniel ließ sich in einem ruhigeren Winkel des großen Raumes des Liar’s Club nieder und gab einem der Kellner einen Wink, ihm einen Brandy zu servieren. Es war viel zu früh, etwas zu trinken, aber Lord Treason würde sich wohl kaum an solche Gepflogenheiten halten.
Sein Drink wurde schnell gebracht, und er warf dem Jungen eine Münze zu, ohne ihn dabei eines Blickes zu würdigen. Es war merkwürdig, aber indem er sich mürrisch und reuelos gab, unterschied er sich nicht von den anderen Gästen.
Selbstverständlich tendierte der Liar’s Club auch dazu, ein mürrisches Publikum anzuziehen, wenigstens auf den ersten Blick. Der Ort war eine Spielhölle, ein nicht ganz respektables Zuhause fern von zu Hause für jene, die sich für guten Branntwein, ausgesuchten Tabak und hin und wieder eine anzügliche Revuevorstellung interessierten.
Es waren nicht viele seines Standes in Sicht. Meistens handelte es sich um die jüngeren Söhne – die »Reservisten«, wie sie in der Oberschicht genannt wurden – mit ihren Kumpanen und Anhängseln. Die meisten von ihnen würden niemals irgendetwas erben. Die älteren Brüder würden ihre eigenen Erben zeugen.
Nathaniel hatte kein Mitleid mit den Reservisten. Wie Basil konnten sie ein Leben auf Kosten des Familienvermögens
führen, ohne jemals wirkliche Verantwortung übernehmen zu müssen. Dennoch, diese Situation führte leicht zu Unzufriedenheit. Von den verschiedenen Orten, an denen Nathaniel in der Öffentlichkeit erscheinen konnte, sodass Sir Foster davon erfuhr, war der Liar’s Club als Anfang so gut wie jeder andere.
Darüber hinaus hatte er den Charme, ein lukratives Umfeld für die Bande von Dieben und Spitzeln abzugeben, die den Royal Four persönlich zuarbeiteten.
Er wollte sich damit nur tarnen, deshalb war der Pegel in Nathaniels Brandyglas kaum gesunken, als der Kellner wieder erschien.
Der Junge verneigte sich. »Mylord, Ihr Separee ist bereitet, wie Ihr es gewünscht habt.«
Die einzige Bitte, die Nathaniel seit Betreten des Clubs geäußert hatte, war die nach einem Gespräch mit dem Gentleman gewesen. Nathaniel nickte dem Jungen zu, erhob sich und folgte ihm, der ohne Zweifel einer der neuen Lehrlinge der Akademie war, zu einer der in die Wand eingelassenen Türen am entfernten Ende des Raums.
Es war tatsächlich ein privates Esszimmer, bemerkte er ohne Verwunderung. Intim und einem männlichen Geschmack entsprechend, mit dunkelgrüner Tapete und eichenen Paneelen. Es gab nur eine Tür, nämlich die, durch die er selbst soeben eingetreten war, doch am Tisch saß bereits die beeindruckende Gestalt von Dalton Montmorency, Lord Etheridge, der Meisterspion des Liar’s Club und ehemalige Kobra.
»Nicht schlecht«, sagte Nathaniel beiläufig.
Etheridge verzog keine Miene. »Was können die Liar’s für Euch tun, Kobra?«, fragte er mit tonloser Stimme.
Nathaniel ließ sich seufzend auf einen der Stühle gleiten. »Reg dich ab, Dalton. Ich komme nicht wegen der Liar’s. Ich brauche deine Hilfe in einer anderen Angelegenheit.«
Etheridge kniff nur die Augen zusammen. »Wenn das irgendetwas mit Clara zu tun hat …«
»Clara? Herrgottnochmal, Dalton, willst du mir denn nie verzeihen, dass ich deine Frau entführt habe?«
Etheridge verschränkte die Arme über seiner breiten Brust. »Du hast sie entführt … sie auf deinem Schoß gefangen gehalten … sie geküsst …«
»Ein verdammter Kuss! Ein erbärmliches kleines Küsschen!«
Etheridge zog eine Augenbraue in die Höhe. »Von da an ging es bergab.«
Nathaniel hob entschuldigend beide Hände. »Okay. Ich sehe schon, ich verschwende meine Zeit.« Er stand auf. »Danke für den Brandy.«
Etheridge atmete hörbar aus, dann lockerte er seine Furcht einflößende Haltung. »Ach, sei’s drum! Setz dich hin, Kobra. Sag mir, was du brauchst.«
Nathaniel setzte sich. »Ich brauche eine Einladung. Vielleicht auch mehr als eine.« Er lehnte sich zurück. »Lord Treason kehrt in die Gesellschaft zurück, und ich will, dass es so viel Aufsehen wie möglich erregt. Du verfügst über Verbindungen zu Leuten, die dazu überredet werden können, mich zu gesellschaftlichen Veranstaltungen einzuladen.«
»Kitty Knight, Claras Nichte, und ihr Mann geben morgen Abend einen Ball zum Ende der Saison.« Etheridge zögerte. »Wie ich hörte, bist du verlobt. Wirst du deine Verlobte mitbringen?«
»Ja.«
»Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?«
Nathaniel lächelte leise. »Nein. Aber ich
Weitere Kostenlose Bücher