Der verruchte Spion
kam einfach nicht darauf.
Egal. Sie wusste aus Erfahrung, dass sie sich nicht weiter darum zu kümmern brauchte. Irgendwann, wenn sie am wenigsten damit rechnete, würde es ihr schon einfallen.
In der Zwischenzeit gab es noch etwas anderes, das ihre volle Aufmerksamkeit verlangte. Sie bog um die Ecke und machte sich auf den Weg zurück in ihr Zimmer. Es war an der Zeit, dass sie sich auf ihren ersten Ball vorbereitete.
18. Kapitel
A m Abend, als sie sich auf den Ball bei den Knights vorbereitet, war sich Willa sicher, dass Lily nervöser war als sie selbst. Die Zofe umkreiste Willa, zog hier etwas gerade, stopfte dort etwas zurück, befestigte da eine Klemme … Willa wusste kaum, wie sie es beschreiben sollte. Schließlich trat sie vor den hohen Spiegel.
»Was sagt Ihr, Mylady?«
Willa ließ ihren Blick vom Saum des blauen Seidenkleides bis zu ihrem Ausschnitt wandern. Der Ausschnitt war tief und jetzt ohne die cremefarbene Spitzenverzierung. Es gab keine ausgefallenen Muster, keine Raffungen oder Stickereien – nichts als wunderschöne Seide.
Jetzt unterbrach nichts mehr den Fall der saphirblauen Seide bis auf den Boden außer einer mitternachtsblauen samtenen Schärpe unter ihren Brüsten, die ihre hohe Taille betonte. Ihr Haar war hochgesteckt, und nur ein paar dunkle Locken fielen in ihren Nacken. Ohrgehänge aus Halbedelsteinen, die dank einer Verschwörung von Zofen aus Daphnes Schmuckkästchen »ausgeliehen« wurden, glitzerten an den kunstvoll geflochtenen Zöpfen, die das Lockengebilde auf ihrem Kopf zusammenhielten.
»Da kann nichts verrutschen, Mylady. Ihr könntet einen Löwen durch einen Sturm reiten, und keine Strähne würde sich lösen«, versicherte ihr Lily.
»Nun, das ist beruhigend«, sagte Willa schwach. Zögerlich drehte sie sich zur Seite. Ihre eleganten weißen Seidenhandschuhe glänzten wie Mondenschein auf der blauen Seide.
»Ich sehe so … so …«
Lilys erwartungsvoller Blick begann sich aufzulösen.
»Ich sehe so groß aus!«
Lily strahlte. »Ja, Mylady.«
Glücklich drehte sich Willa um, dass ihre Röcke flogen. Dann fiel sie Lily dankbar in die Arme. Nach kurzem Zögern erwiderte Lily die Umarmung und drückte sie herzlich. Willa schaute noch einmal in den Spiegel.
»Ich sehe wunderbar aus in Blau«, verkündete sie stolz.
Nathaniel zog an seiner Weste und inspizierte sein Halstuch. Die zitronengelbe, auf Figur gearbeitete Weste schimmerte unter seinem Gehrock aus dunkelblauer Wolle. Er persönlich bevorzugte eigentlich einen etwas gedeckteren Stil, aber er wollte, dass Lord Treason auffiel.
Sich zusammen mit Willa in Blau zu zeigen, war ein unverfrorener Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen.
Er hatte sich auch nicht die Haare schneiden lassen. Die derzeitige Mode bevorzugte militärisch kurz geschnittenes Haar, denn alle Welt war verrückt nach allem Militärischen. Die Symbolträchtigkeit seines langen Haares verstärkte noch sein Motto des heutigen Abends, das da lautete: »Starrt mich nur an!«
Mit seinem dreizackigen Hut und seinen Handschuhen in der Hand stand Nathaniel vor Willas Tür. Lily öffnete auf sein Klopfen.
»Ja, Mylord. Sie ist bereit.«
Nathaniel trat nicht ins Zimmer, deshalb sah er Willa erst, als sie hinter dem Bett hervorkam. Dann wurde sein Mund schlagartig trocken.
Umwerfend. Für lange Zeit konnte er nichts anderes denken. Sie bestand nur aus süßen Kurven und porzellanener Haut, sie war in ein unglaublich elegantes Kleid eingehüllt, das ihre weichen weißen Schultern und ihre langen, glänzenden
Locken bestens zur Geltung brachte. Und dann ihre Brüste! Volle, seidenweiche Rundungen – der Traum eines jeden Mannes!
Ihre Augen – sie waren riesengroß, eingerahmt von dichten dunklen Wimpern. So blau …
Die Frau vor ihm war üppig, wunderschön und zugleich elegant und ohne Makel.
Willa? Seine schrullige, ungekünstelte, manchmal etwas zerzauste Willa?
Ihm fiel auf, dass sie ihn beobachtete. Ihr Blick war voller Vorsicht und Hoffnung. Dann, als er sie immer noch ungläubig anstarrte, blitzte ein Funke Verärgerung in ihren wunderschönen blauen Augen auf.
Schließlich stemmte sie beide Hände in die Hüften und starrte ihn an. »Was ist? Habe ich Ruß auf der Nasenspitze?«
Sie war wieder da. Nathaniel atmete aus. »Das beruhigt mich jetzt sehr«, sagte er lächelnd. »Eine kurze Zeit lang war ich mir nicht sicher, dass du es bist.«
Sie verschränkte die Arme unter ihren wunderbaren Brüsten. Nathaniels Kehle war gar
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