Der verschlossene Gedanke
glänzen im Licht einer schummrigen Lampe. Das dunkle Haar fällt ihr weich auf die Schultern. Das Lachen. Es scheint ihn regelrecht zu durchbohren. Ihre Schönheit ist atemberaubend, fast magisch. Ihre Lippen kommen näher. Er kann ihre Haut beinahe berühren. Der fremde Gedanke beißt sich fest. Ich will sie haben. Jetzt.
Er schließt die Augen. Wie kann er es verdrängen? Wie kann er es loswerden, das Chaos in seinem Kopf? Seine Schritte werden schneller, als könnte er dadurch auch die Gedanken abwerfen.
Neben einem Türschild bleibt er stehen.
Tanja Bruckheimer.
Kapitel 4: Nur eine Phase
„ Ich mache mir Sorgen um dich, Oskar.“ Erst Lennard. Jetzt Gaby. Ist er wirklich so leicht zu durchschauen?
„ Warum? Es gibt keinen Grund dafür“, lügt er, während er ihr einen Schluck Weißwein einschenkt.
Das abendliche Ritual des gemeinsamen Weintrinkens haben sie im Laufe der letzten Wochen öfter ausfallen als stattfinden lassen. Er setzt sich neben sie aufs Sofa, während der milde Abendwind die Vorhänge durch das offene Fenster ins Wohnzimmer bläst.
„ Verkauf mich nicht für dumm, Oskar. Ich merke doch, dass etwas nicht stimmt.“ Sie nimmt das Glas in die Hand, um es gleich danach wieder abzustellen. „Deine Unfähigkeit, dich zu konzentrieren, übersteigt weit die normale Zerstreutheit, mit der du dich für gewöhnlich während der Arbeit an einem Manuskript durch die Tage schleppst. Da steckt doch mehr dahinter. Mehr als Unzufriedenheit über den Plot. Mehr als nur eine Schreibblockade.“
Er legt die Hand auf ihren Schoß, ohne etwas zu sagen. Wie wird sie auf die Wahrheit reagieren? Und wie erklärt er ihr, dass er selbst nicht weiß, was davon Wahrheit ist und was Einbildung? Sie kennt seine Eigenarten, die Macken, die ihn besonders während der intensiven Schreibphasen ausmachen, aber wird sie ihn jetzt nicht zweifellos für völlig verrückt halten?
„ Lennard hat es nicht verstanden und ich bezweifle, dass du es verstehen wirst“, sagt er.
„ Was verstehen?“, fragt sie. „Und vor allem, warum redest du mit Lennard darüber, bevor du mit mir sprichst?“
„ Weil er mir dieselbe Frage gestellt hat, Gaby. Und weil ich gehofft hatte, dass es mir helfen würde, mich jemandem anzuvertrauen.“
Sie steht auf und schließt das Fenster. Die Vorhänge beruhigen sich und fallen langsam in ihren Ursprungszustand. Kein Wind mehr. Kein Geräusch.
„ Rede mit mir“, sagt sie, während sie sich mit dem Rücken an das geschlossene Fenster lehnt.
Ist es wirklich das Richtige, ihr alles zu sagen? Wie kann er erwarten, dass sie versteht, was er selbst nicht begreifen kann?
„ Ich bin überarbeitet“, sagt er schließlich. „Meine Gedanken sind einfach sehr verwirrend und ich habe das Gefühl, langsam die Oberhand zu verlieren.“
„ Über deine Arbeit?“
Er nickt. Ihre Vermutung kommt ihm gelegen. Details sind überflüssig. Es ist besser, wenn er diesen Weg alleine geht. Wenn er die Antworten sucht, ohne sie damit zu belasten.
„ Aber du hast es bisher immer hinbekommen, Oskar.“ Sie setzt sich neben ihn und legt die Hand auf seine Schulter. „Dieselbe Krise wie bei jedem Manuskript, von dem du glaubst, dass es besser werden muss als alle Bücher, die du je zuvor geschrieben hast.“
Sie lächelt, während sie mit den Fingern über sein Kinn streicht. „Du setzt dich einfach nur zu sehr unter Druck. Das ist alles. Und wie jedes Mal wird auch diese Phase wieder vorbeigehen.“
Ihre Worte haben eine seltsam beruhigende Wirkung. Trotz der Tatsache, dass sie keine Ahnung von den wahren Hintergründen seiner Verwirrung hat, übt ihr Optimismus eine wohltuende Wirkung auf seinen Zustand aus. Ja. Es wird vorbeigehen. Es muss vorbeigehen. Und der nächste Schritt steht unmittelbar bevor. Gleich morgen wird er die Adresse aufsuchen, die er ausfindig gemacht hat. Tanja Bruckheimer. Ein weiteres Puzzleteil. Eine weitere Antwort.
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„ Sind Sie sicher, dass Sie zu ihr wollen?“ Der Blick des Mannes ist skeptisch. Große breite Schultern, volles hellblondes Haar. Ein Oberkörper, der seinen Zustand zweifellos intensivem Krafttraining zu verdanken hat. Niemand, dem man im Dunkeln begegnen möchte. Oskar schätzt ihn auf Anfang Vierzig.
„ Ja. Tanja Bruckheimer“, antwortet Oskar. „Man sagte mir, ich könnte sie hier finden.“
Das Haus am Rande der Stadt liegt in geradezu friedlicher Idylle. Weiße Klinker, dunkelgrüne Fensterläden, ein frisch
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