Der verschlossene Gedanke
entfernender Realität. Stille.
Kapitel 5: Barbesuche
Lennard ist Skeptiker. Von Natur aus. Eine Tatsache, die Oskar einmal mehr verdeutlicht, wie wenig Sinn es macht, ihm etwas begreiflich machen zu wollen, dass er schon von Natur aus nicht verstehen kann .
„ Und du willst behaupten, dass du einfach so in dieses Auto gefahren bist?“ Er setzt sich auf die Kante von Oskars Bett. Eine Geste, der etwas Seltsames innewohnt. Ein Lektor sollte nicht auf der Bettkante eines Autors sitzen. Unter gar keinen Umständen.
„ Wie oft soll ich es noch sagen?“, antwortet Oskar. „Es waren die Gedanken. Dieselben Gedanken, die mich seit dem Mord heimsuchen. Ich hatte für einen Moment meinen Verstand nicht unter Kontrolle.“
„ Ich habe dir doch Tausendmal gesagt, dass du die Gedanken an dein Manuskript beim Autofahren außer Acht lassen sollst. Hast du den Unfall mit dem Laster vor zwei Jahren etwa schon vergessen? War dir das keine Lehre?“
Oskar setzt sich aufrecht. Ein Stich im Hinterkopf, der ihn an den Aufprall erinnert.
„ Ich habe nicht an mein Buch gedacht, Lennard“, entgegnet er mit Nachdruck. „Es war wieder die Frau. Die Frau aus dem Maisfeld.“
„ Ja ja, die Frau.“ Lennard steht auf und beginnt, das Zimmer zu durchstreifen. „Langsam frage ich mich, wie lange du diese imaginäre Frau noch für dein seltsames Verhalten verantwortlich machen willst.“
Oskar ist müde, sich zu erklären. Seit dem Unfall am Vorabend hat sich Gaby aufopferungsvoll um ihn gekümmert. Eine Fürsorge, die ihm gerade in seiner derzeitigen Situation gegen den Strich geht. Und nun auch noch Lennard. Was hilft es ihm, bemuttert zu werden, wenn er nicht weiß, wie er die Ursache für den Unfall bekämpfen kann? Die Visionen. Wie kann er sie loswerden? Ist die Suche nach dem Besitzer der Gedanken wirklich die Lösung für sein Problem? Steht er unmittelbar davor, verrückt zu werden? Oder ist er es vielleicht längst?
„ Ich möchte nicht mehr darüber reden, Lennard“, antwortet Oskar. „Das einzige, worum ich dich bitte, ist ein einziger Gefallen.“
„ Was für ein Gefallen?“
„ Du musst mich in eine Bar begleiten.“
„ Eine Bar? Solltest du in deinem jetzigen Zustand wirklich daran denken, eine Bar aufzusuchen?“
„ Ich muss dorthin. Es ist der einzige Ort, an dem ich mehr herausfinden kann. Aber alleine ist es zu gefährlich. Ich weiß nicht, von wann die Vision war, in der er mir gefolgt ist. Deshalb darf ich kein unnötiges Risiko eingehen.“
„ Von wem redest du?“
„ Von Kenny.“
Lennard verschränkt die Arme vor der Brust. „Wer um Himmelswillen ist Kenny?“
Oskar streckt die Beine aus dem Bett und stellt sich mit schwachen Füßen auf den Teppich.
„ Der Lebensgefährte der Frau“, sagt er. „Und ihr Mörder.“
________
„ Was willst du schon wieder?“ Barney hat seit Oskars letztem Besuch nichts von seiner Unfreundlichkeit eingebüßt.
„ Ich suche Lilli“, antwortet Oskar. Lennard sitzt schweigend neben ihm an der Bar. Die Situation scheint ihm ebenfalls suspekt, wenn auch aus anderen Gründen.
„ Sie ist immer noch nicht hier aufgetaucht“, brummt Barney monoton, während er ein Bierglas unter den Zapfhahn hält.
„ Und Kenny?“
„ Der auch nicht.“ Er stellt das Glas auf den Tresen und beginnt, das zweite für Lennard zu füllen. „Aber ich kapier noch immer nicht, warum das so wichtig ist. Ich kenne dich nicht und Lilli hat nie von dir erzählt.“
„ Nur weil sie nicht über mich gesprochen hat, heißt das nicht, dass sie mich nicht kannte.“ Vergangenheitsform. Oskar möchte sich selbst ohrfeigen. Hoffentlich hat er es nicht bemerkt.
Lennards Blick wandert teilnahmslos durch die Kneipe. Er scheint sich weder der Wichtigkeit seiner Anwesenheit noch des Ortes bewusst.
„ Gestern hatte ich einen Anruf“, sagt Barney. „Ein Typ, der meinte, dass du hier wieder auftauchen würdest.“
Ein Typ? Wer könnte wissen, dass er hier auftaucht? Hat man ihn gesehen?
„ Wie war sein Name?“
„ Hat er nicht genannt. War sehr kurz angebunden.“
„ Und?“, hakt Oskar nach.
„ Nichts und. Ich hab ihm gesagt, dass es mich nicht interessiert, wer hier auftaucht und dass ich auch keine Dienste für Fremde erbringe.“
„ Was für Dienste?“
„ Er wollte, dass ich dir ein Hausverbot erteile. Aber ich schmeiße niemanden raus. Solange die Leute ihr Bier bezahlen, lass ich sie auch rein.“ Er stellt das zweite Glas auf den Tresen.
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