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Der verschlossene Gedanke

Der verschlossene Gedanke

Titel: Der verschlossene Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
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begleiten?“
    „ Nein.“ Sie schüttelt den Kopf. „Ich möchte Sie nur bitten, vorsichtig zu sein, Herr Holstein. Und vor allem: rufen Sie mich an, wenn Sie etwas herausgefunden haben. Ich möchte endlich wieder ruhig schlafen können. Das arme Ding hat doch sonst niemanden.“
    Er faltet den Zettel und steckt ihn in die Tasche seines Hemdes. Das arme Ding. Hat sie tatsächlich niemanden, der sich um sie sorgt? Niemanden sonst, der sie als vermisst melden könnte?
    „ Meine Telefonnummer steht auf der Rückseite. Bitte vergessen Sie nicht, mich anzurufen.“
    Er nickt. „Natürlich.“
     
     
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    Er kennt noch immer jeden Millimeter ihres Körpers, auch wenn sie es sich im Laufe der Jahre abgewöhnt haben, jeden Millimeter aufs Neue zu erkunden. Die elfenbeinfarbene Haut. Das Muttermal über ihrem Becken. Das kurze dunkle Haar, das er schemenhaft aus den Augenwinkeln erkennt, während seine Gedanken zu Emotionen verschwimmen. Gaby ist zu sehr ein Teil von ihm, als dass er sie wirklich wahrnehmen würde. Trotzdem ist es diesmal anders. Eine Ahnung, die ihn von der ersten Berührung überkommen hat und mit jeder Bewegung langsam zu einem Bild wird. Ein Bild, dann ein zweites. Und Gedanken, die ihn im ungünstigsten Zeitpunkt übermannen. Das vertraute Gesicht auf dem Kissen unter ihm wird zu denselben dunklen Augen, die ihn seit dem Mord heimsuchen. Rote Wangen, die vor Erregung zu glänzen scheinen. Weiche Lippen, die unter seinen zum Atemzug werden. Er sieht ihr Lächeln. Er spürt es. Jede Regung. Ihre Emotionen scheinen sich ineinander zu verkapseln. Begehren, das ihn durchströmt, fremd und vertraut zugleich ist. Und immer wieder dieselben dunklen Augen, die ihn zu durchleuchten scheinen. Ich will sie spüren. Jetzt.
    Als ihn der Schauer wieder verlässt, liegt sie bereits neben ihm in der Mitte des Bettes. Sie lächelt. Gaby. Ja, kein Zweifel. Seine Frau. Wie hatte er glauben können, dass es anders wäre?
     
     
    ________
     
     
    Das verlassene Gelände erinnert ihn an den Schauplatz von Morden in blutrünstigen Thrillern. Wäre es nicht fast ein Klischee, Liliana hier zu finden? Nein. Unmöglich. Sie ist doch längst tot. Er hat sie selbst gefunden. Im Maisfeld. Jetzt geht es um Kenny.
    Er wirft einen letzten Blick auf den Zettel mit der Adresse, steckt ihn zurück in das Handschuhfach und verlässt seinen Wagen. Vor ihm streckt sich ein zweistöckiges Gebäude in die Höhe. Kein Zweifel. Hier muss es sein. Er schaut nach oben. Gardinen an den Fenstern. Das Erdgeschoss scheint leer zu sein. Umso überraschter ist er, die Eingangstür unverschlossen aufzufinden.
    Im Inneren des Hauses befindet sich ein weiter Raum ohne Zwischenwände. Im hinteren Teil nur zwei Türen, vermutlich Toiletten. In der Mitte des Raumes ein Treppengeländer. Instinktiv und ohne zu zögern geht er nach oben. Eine Tür aus dickem Glas ist das Erste, das ihm im Obergeschoss auffällt. Daneben ein Klingelknopf mit dem Namen Lasner . Ein kurzer Atemzug, dann drückt er ihn.
    Ein Schatten hinter dem Glas, nur wenige Sekunden nach dem Klingeln. Die Tür öffnet sich lautlos. Ein bärtiges Gesicht, das ihm ungewaschen entgegenblickt. Dunkelblondes Haar mit lieblosen Kammspuren. Über dem Bauchansatz ein tarngrünes T-Shirt. An den Beinen verschlissene Jeans.
    „ Ja?“ Seine Bemerkung ist Frage und Antwort zugleich. Scheinbar hat er wenig Interesse daran, in seiner Routine gestört zu werden. Wie auch immer diese Routine aussehen mag.
    „ Guten Tag. Mein Name ist Holstein.“
    „ Schön für Sie“, brummt er unhöflich, während er einen Zug von seiner Zigarette nimmt. „Und was wollen Sie?“
    „ Ich wollte fragen, ob ich Frau Falkner bei Ihnen antreffen kann“, sagt Oskar. „Liliana Falkner.“
    Eine Falte schiebt sich zwischen seine Augenbrauen. „Lilli? Was wollen Sie von ihr?“
    „ Ich hatte einen Termin mit ihr.“
    „ Aber bestimmt nicht hier.“ Er drückt die Zigarette in einem Aschenbecher auf der Heizung aus.
    „ Ich habe die Adresse von einer Bekannten von Frau Falkner, die meinte, dass Sie mir vielleicht weiterhelfen könnten.“
    „ Muss aber ein wichtiger Termin sein, wenn Sie dafür sogar fremde Leute belästigen.“
    „ Tut mir leid. Belästigen wollte ich Sie natürlich nicht. Aber Frau Falkner und ich hatten einige Gespräche über eine Lesung und ich fand es einfach ungewöhnlich, dass sie zur Absprache der Details nicht erschienen ist.“
    „ Lesung?“, fragt er mit hochgezogener

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