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Der verschlossene Gedanke

Der verschlossene Gedanke

Titel: Der verschlossene Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
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„So einfach ist das.“
    So einfach. Aber wie hilft es ihm weiter?
    Er schaut sich um. Der Laden ist voller als beim letzten Mal. Ein paar Männergruppen, die grölend an Vierertischen sitzen. Ein bärtiger Alter in Tarnjacke am Fenster.
    Lennard beugt sich flüsternd zu Oskar herüber. „Lass uns gehen.“
    „ Noch nicht.“
    „ Aber worauf wartest du? Der Typ, den du suchst, ist nicht hier. Und Gastfreundschaft sieht für mich anders aus. Lass uns das Bier lieber woanders trinken. Dann können wir auch in Ruhe über das nächste Kapitel reden.“
    „ Scheiß auf das Kapitel“, antwortet Oskar und erschrickt im selben Moment über die Lautstärke seiner Stimme. Doch nicht nur die eigenen, auch Lennards Worte werden von einen Moment auf den anderen leiser. Nur noch dumpfe Kulisse für einen neuen Gedanken, der Besitz von ihm ergreift. Was will er hier? Hat er noch immer nicht genug? Das Bild in seinem Kopf zeigt ihn selbst am Tresen. Keine Vergangenheit. Keine Zukunft. Jetzt. Er ist hier. Oskar dreht sich um. Im selben Moment sieht er die Eingangstür zufallen. Er sucht nach Schatten am Fenster, doch er kann nichts erkennen. Reflexartig steht er auf, während er einen Zehner auf den Tresen wirft.
    „ Wir müssen los, Lennard“, ruft er auf dem Weg zur Tür.
    Lennard springt vom Tresen auf und läuft ihm irritiert nach. „Was ist denn nun schon wieder? Gerade wolltest du noch unbedingt hier bleiben und jetzt?“
    „ Er ist hier“, antwortet er, während er die Eingangstür öffnet. „Er hat uns gesehen.“
    „ Wer hat uns gesehen?“ Lennard schließt seinen Mantel, als sie auf die Straße treten.
    Für einen kurzen Augenblick bleibt Oskar stehen. Ein Blick nach rechts. Links. Niemand zu sehen. Die anbrechende Nacht macht es schwierig, etwas zu erkennen. In einer abzweigenden Gasse glaubt er, Schritte zu vernehmen. Kommentarlos läuft er in Richtung der Geräusche.
    „ Wo willst du hin?“, fragt Lennard.
    „ Er ist hier. Ganz in der Nähe.“ Neben einem Müllcontainer bleiben sie stehen. „Vermutlich beobachtet er uns.“
    Oskar lässt seinen Blick die Gasse auf und ab wandern. Nichts. Kein Schatten. Kein Geräusch. Wo ist er? In einem der Häuser verschwunden?
    „ Ich versteh immer noch nicht, warum ...“
    „ Da gibt es nichts zu verstehen“, unterbricht Oskar ihn. „Er verfolgt mich. Er weiß, dass ich etwas weiß. Und das macht ihn nervös.“
    „ Aber von wem verdammt noch mal redest du?“
    „ Sag mal, hast du es immer noch nicht kapiert?“ Erst jetzt wird ihm Lennards Begriffsstutzigkeit in vollem Umfang bewusst. „Es ist der Mann, der sie getötet hat. Der Mann, der für all das verantwortlich ist. Und letztendlich auch dafür, dass ich früher oder später den Verstand verliere, wenn ich ihn nicht endlich finde.“
    Lennard schiebt die Hände in seine Manteltaschen. Oskars Worte scheinen ihn nicht zu erreichen. Sein Blick ist ausdruckslos und durchdringend zugleich.
    „ Nein, Oskar, vermutlich hast du recht. Ich verstehe es wirklich nicht.“
    Hinter den Müllcontainern ertönt ein Klappern. Zwei Katzen, die sich mit lautem Geschrei aus dem dunklen Hintergrund in den Schein einer Straßenlaterne flüchten. Oskar sieht ihnen nach.
    „ Ich weiß, dass es verrückt klingt“, antwortet er. „Aber wenn du es schon nicht verstehst, versuch wenigstens, mich zu verstehen.“
     
     
    ________
     
     
    Der Buchladen ist beängstigend gut gefüllt. Menschenmengen haben in den letzten Tagen an Macht gewonnen. Macht, die Oskar einschüchtert. Er inspiziert Gesichter wie Landminen, Geräusche wie ein Jagdhund das Wild. Und es sind viele Gesichter, die ihm auf seinem Weg vom Hinterzimmer des Ladens bis zum Pult in der Mitte des Raumes entgegenblicken. Zwei Schritte, noch einer. Dann hat er es geschafft. Auf seinem Platz angekommen, öffnet er das Buch an der markierten Seite und beginnt mit den üblichen Floskeln.
    „ Meine Damen und Herren. Ich freue mich sehr, dass sie den kurzen oder vielleicht sogar weiten ( Lachen ) Weg auf sich genommen haben.“
    Er ist dankbar dafür, dass ihm die einleitenden sowie die vorgelesenen Worte gleichermaßen wenig Konzentration abfordern. Routine. In jedem Atemzug. Nur die Gedanken scheinen ihre eigenen Gesetze zu haben. Vielleicht gehorchen sie ihm wenigstens heute. Nur bis zur Pause. Nur bis zum zweiten Kapitel.
    Sein Blick wandert durch die erste Reihe. Fremde Augen. Ausdruckslose Gesichter. Keinerlei Auffälligkeiten. Aber was wäre auffällig? Und

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