Der Verschollene
langsam entwickelte, wich allerdings von Karl jede Hoffnung, diesem Manne den Herrn Pollunder heute abend irgendwie zu entlocken.
Herr Green empfieng sie sehr eilig, als sei vieles einzu- holen, nahm Herrn Pollunders Arm und schob Karl und Klara vor sich in das Speisezimmer, das besonders infol- ge der Blumen auf dem Tische, die sich aus Streifen frischen Laubes halb aufrichteten, sehr festlich aussah und doppelt die Anwesenheit des störenden Herrn Green bedauern ließ. Gerade freute sich noch Karl, der beim Tische wartete, bis die andern sich setzten, daß die große Glastüre zum Garten hin offen bleiben würde, denn ein starker Duf wehte herein wie in eine Garten- laube, da machte sich gerade Herr Green unter Schnau- fen daran, diese Glastüre zuzumachen, bückte sich nach den untersten Riegeln, streckte sich nach den obersten und alles so jugendlich rasch, daß der herbeieilende Die- ner nichts mehr zu tun fand. Die ersten Worte des Herrn Green bei Tische waren Ausdrücke des Staunens dar- über, daß Karl die Erlaubnis des Onkels zu diesem Be- suche bekommen hatte. Einen gefüllten Suppenlöffel nach dem andern hob er zum Mund und erklärte rechts zu Klara, links zu Herrn Pollunder warum er so staune und wie der Onkel über Karl wache und wie die Liebe des Onkels zu Karl zu groß sei, als daß man sie noch die Liebe eines Onkels nennen könne. „Nicht genug, daß er sich hier unnötig einmischt, mischt er sich noch gleich- zeitig zwischen mich und den Onkel ein", dachte Karl und konnte keinen Schluck der goldfarbigen Suppe hin- unterbringen. Dann wollte er sich aber wieder nicht anmerken lassen, wie gestört er sich fühlte und begann die Suppe stumm in sich hineinzuschütten. Das Essen vergieng langsam wie eine Plage. Nur Herr Green und höchstens noch Klara waren lebhaf und fanden mitun- ter Gelegenheit zu einem kurzen Lachen. Herr Pollun- der verfieng sich nur einigemal in die Unterhaltung, wenn Herr Green von Geschäfen zu sprechen anfieng. Doch zog er sich auch von solchen Gesprächen bald zurück und Herr Green mußte ihn nach einiger Zeit wieder unvermutet damit überraschen. Er legte übrigens Gewicht darauf – und da war es, daß Karl, der auforch- te, als drohe etwas, von Klara darauf aufmerksam ge- macht werden mußte, daß der Braten vor ihm stand und er bei einem Abendessen war – daß er von vornherein nicht die Absicht gehabt habe, diesen unerwarteten Be- such zu machen. Denn wenn auch das Geschäf, von dem noch gesprochen werden solle, von besonderer Dringlichkeit sei, so hätte wenigstens das Wichtigste heute in der Stadt verhandelt und das Nebensächlichere für morgen oder später aufgespart werden können. Und so sei er auch tatsächlich noch lange vor Geschäfsschluß bei Herrn Pollunder gewesen, habe ihn aber nicht ange- troffen, so daß er gezwungen gewesen sei, nachhause zu telephonieren, daß er über Nacht ausbleibe, und heraus zu fahren. „Dann muß ich um Entschuldigung bitten", sagte Karl laut und ehe jemand Zeit zur Antwort hatte, „denn ich bin daran schuld, daß Herr Pollunder sein Geschäf heute früher verließ und es tut mir sehr leid." Herr Pollunder bedeckte den größern Teil seines Ge- sichtes mit der Serviette, während Klara Karl zwar an- lächelte, doch war es kein teilnehmendes Lächeln son- dern eines, das ihn irgendwie beeinflussen sollte. „Da braucht es keine Entschuldigung", sagte Herr Green der gerade eine Taube mit scharfen Schnitten zerlegte, „ganz im Gegenteil, ich bin ja froh, den Abend in so angeneh- mer Gesellschaf zu verbringen, statt das Nachtmahl allein zuhause einzunehmen, wo mich meine alte Wirtschafe- rin bedient, die so alt ist, daß ihr schon der Weg von der Tür zu meinen Tisch schwer fällt und ich mich für lange in meinem Sessel zurücklehnen kann, wenn ich sie auf diesem Gang beobachten will. Erst vor Kurzem habe ich durchgesetzt, daß der Diener die Speisen bis zur Tür des Speisezimmers bringt, der Weg aber von der Tür zu meinem Tisch gehört ihr, soweit ich sie verstehe." Mein Gott", rief Klara, „ist das eine Treue!" „Ja es giebt noch Treue auf der Welt", sagte Herr Green und führte einen Bissen in den Mund, wo die Zunge, wie Karl zufällig bemerkte, mit einem Schwünge die Speise ergriff. Ihm wurde fast übel und er stand auf. Fast gleichzeitig griffen Herr Pollunder und Klara nach sei- nen Händen. „Sie müssen noch sitzen bleiben", sagte Klara. Und als er sich wieder gesetzt hatte, flüsterte sie ihm zu:
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