Der versoffene Papagei
ab, wickelte die Fläschchen hinein und steckte sie in seine Tasche. Er sah dabei ziemlich unglücklich aus, als ob ihm irgendwas gar nicht in den Kram passe. Ich konnte mir denken, was es war: was wäre für den Mörder einfacher gewesen, als dieses Fläschchen mit dem Gift verschwinden zu lassen oder gegen ein harmloses Whiskyfläschchen zu vertauschen?
Bray blickte sich in der Garderobe um, und sein Blick blieb an Walsh hängen.
»Wie ist das mit diesen Flaschen?« fragte er. »Wer stellt sie hier in die Garderobe, und woher stammt der Whisky?«
Walsh warf mir einen Blick zu, als suche er bei mir Hilfe.
»Mister Murchison «, sagte er dann zögernd, »trank ziemlich viel. Er hat seinen eigenen Whisky in seiner Garderobe. Die Direktion hat für das Stück keinen Whisky mehr genehmigt, da Mister Murchison zuviel davon verbraucht. Ich fülle jeden Abend damit die drei Fläschchen auf.«
»Waschen Sie sie jedesmal vorher aus?«
»Meistens ja. Aber manchmal habe ich es sehr eilig, und dann nehme ich sie so, wie sie sind. Es ist ja immer nur Whisky drin, und da...«
»Reicht schon«, unterbrach ihn Bray . »Haben Sie vor der Vorstellung heute nur nachgefüllt oder...«
»Nur nachgefüllt«, sagte Walsh rasch. »Ich mußte nämlich noch zu Miss Spencer, weil sie Kaffee wollte, und da war die Zeit zu knapp.«
Bray wandte sich zur Türe.
»Ich will die Flasche sehen«, sagte er.
Wir gingen zur Garderobe Nummer zwei, die verschlossen war. Walsh öffnete sie mit seinem Universalschlüssel und machte Licht.
»Wo steht der Whisky?« fragte Bray .
Walsh ging zum Garderobenschrank und wollte ihn öffnen, aber Bray kam ihm zuvor.
»Lassen Sie nur. Ist er da drin?«
Walsh nickte erschrocken.
Bray wickelte ein Taschentuch um seine Hand und öffnete vorsichtig den Schrank. Zuerst waren nur einige Kleidungsstücke zu sehen. Bray bückte sich, richtete sich wieder auf und blickte sich um. Dann holte er ein Zellstoffblatt von Murchisons Schminktisch, wickelte es um die Flasche im Schrank und nahm sie heraus.
Es war die gleiche Flasche > Three Roses<-Whisky, die ich während der Vorstellung auf dem Tisch hatte stehen sehen.
»Ist sie das?« fragte Bray .
Walsh nickte.
»Ja. Sie steht immer da, und wenn sie nur noch viertel voll ist, muß ich für Mister Murchison eine neue besorgen.«
Bray hob die Flasche ein wenig hoch.
»Demnach wäre morgen eine neue Pulle fällig gewesen. Wann füllen Sie die Fläschchen? Schon vor der Vorstellung oder erst später?«
»Während der Pause«, sagte der Inspizient. »Nach dem zweiten Akt gehe ich hierher in die Garderobe. Meistens will Mister Murchison noch ein Glas eingeschenkt haben, das er während der Pause trinkt, und dann nehme ich die Flasche mit, fülle drüben die drei Fläschchen halb voll, und dann stelle ich die Flasche draußen auf der Bühne in den Schrank, weil sie doch dort im letzten Akt gebraucht wird.«
»Haben Sie das gestern auch so gemacht?« fragte Bray .
»Gestern?«
» Heute nacht , meine ich«, sagte Bray ungeduldig.
»Verzeihung, ja, genauso.«
»Wer war gestern, als Sie die Flaschen füllten, drüben in der Garderobe?«
»Niemand«, sagte Walsh. »Die drei Jungens sitzen während der Pause meistens in der Kantine und kommen erst kurz vor Beginn des letzten Aktes in ihre Garderobe.«
»Haben Sie gesehen, wie das heute nacht vor sich ging? Kamen alle drei zugleich, oder kamen sie einzeln, hintereinander?«
Der Inspizient hob die Schultern.
»Das habe ich nicht gesehen«, sagte er. »Ich habe mich auch noch nie darum gekümmert. Es gibt für mich in der Pause so viel Arbeit, daß ich...«
»Schon gut!« winkte Bray ab. Dann wandte er sich an mich:
»Nehmen Sie die Flasche mit, Tonio.«
»Wo ist das Glas, aus dem Murchison auf der Bühne getrunken hat?« fragte er nun Walsh.
»Es wird noch draußen sein«, meinte Walsh. »Die Bühnenarbeiter gehen nach Hause, wenn der dritte Akt anfängt, weil sie die Zimmerkulisse, die neben dem Gerichtssaal aufgebaut ist, nicht abnehmen können, solange noch gespielt wird. Die Kulissen für den Anfang des Stückes werden erst morgen umgebaut. Das Glas müßte noch draußen sein.«
Ich hatte, mehr aus Neugier als aus wirklichem Interesse, die Schublade von Murchisons Schminktisch aufgezogen. Zwischen Schachteln mit Schminkstiften, Zigarettenpackungen, von denen eine angebrochen war, einer Nagelschere, Taschentüchern, einem Vaselinetopf ohne Deckel, einem silbernen Füllfederhalter, einem zerfledderten
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