Der verwaiste Thron 02 - Verrat
doch an!«
Die Soldaten reagierten nicht. Die Hufe der Pferde schaufelten Staub auf das Muster am Wegesrand, bedeckten die Holzkugeln mit einer grauen Schicht.
Stumm ging Ana daran vorbei durch das Tor. Der Geruch nach Hafen und gekochtem Gemüse hing in der Luft. Die Straßen, durch die sie geführt wurde, waren bis auf eine Rinne in ihrer Mitte gepflastert. Sie waren eng. An beiden Seiten drängten sich Holz- und Steinhäuser, Lehmhütten und Verschläge. Man hatte sie übereinander- und nebeneinandergebaut, drei, manchmal sogar vier Stockwerke hoch. Sie lehnten aneinander wie Betrunkene. Hühner und Tauben saßen in den Fenstern und den geöffneten Türen. Auf einem Dach stand eine Ziege.
Fast alle Häuser beherbergten ein Geschäft oder einen Marktstand auf Straßenebene. Ana sah Metzger und Schreiner, Stoffhändler, Schmiede und Schneider. Neben manchen Ständen hockten tätowierte Sklaven, die die Waren bewachten. Die Straßen waren voller Menschen. Ana sah Arme und Reiche, Sklaven, Soldaten, Matrosen, Bauern und Händler. Sie alle gaben den Weg für die Maskierten frei. Manche, vor allem die Armen, riefen ihnen Glückwünsche zu oder klatschten. Die meisten anderen neigten nur den Kopf und traten zur Seite.
Die Banditinnen zogen an ihnen vorbei wie siegreiche Soldaten nach einer Schlacht. Den ganzen Weg bis nach Srzanizar hatte nur hin und wieder eine der Banditinnen ihr Gesichtstuch nach unten gezogen, um tief Luft zu holen. Auch innerhalb der Stadt verbargen sie ihre Gesichter darunter.
Ein Schlagbaum stoppte sie an der Stelle, an der der Weg in den Marktplatz mündete. Vier uniformierte Männer bewachten ihn. Ihre Jacken waren wohl einmal rot gewesen, doch Alter und Staub hatten sie braun gefärbt. Ihre Lederhosen waren abgewetzt. Nur einer der vier trug Stiefel, die anderen gingen barfuß. Sie stützten sich auf lange Speere.
»Auf dem Marktplatz habt ihr nichts zu suchen«, rief einer der Männer, als die Banditinnen näher kamen. »Verschwindet.«
Er hatte den Satz noch nicht vollendet, da flogen ein paar Münzen vor ihm in den Staub.
»Versauf das mit deinen Männern«, sagte die Frau, die das Geld geworfen hatte. Ihre Hand ruhte auf dem Knauf des Schwerts in ihrem Gürtel. »Du kannst besser mit einem Bierkrug umgehen als mit einem Schwert.«
Der Soldat zögerte, dann hob er die Münzen auf und nickte seinem Kameraden am Schlagbaum zu. Die gaben den Weg frei.
»Passt bloß auf«, rief ein anderer Soldat den Frauen hinterher. »Bald weht hier ein anderer Wind!«
Die Banditin, die das Geld geworfen hatte, winkte ab, ohne sich zu ihm umzudrehen.
Diese Bande scheint die ganze Stadt zu beherrschen , dachte Ana. Wieso greift der Fürst dieser Provinz nicht ein?
Auf dem Marktplatz lenkten die Banditinnen ihre Pferde nach links, in schmalere, steil ansteigende Gassen. Der Weg war anstrengend. Ana ließ sich von dem Pferd mitziehen. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben zwischen den Häusern hindurch zur Kuppe des Hügels. Geschwärzte Balken, eingestürzte Türme und Geröll – die ausgebrannte Ruine einer Festung.
Was ist hier geschehen? , wollte sie fragen, war jedoch zu erschöpft, um die Worte auszusprechen. Hinter ihr keuchte Marta bei jedem Schritt.
Auf halber Höhe verließen die Banditinnen die Gasse und wandten sich wieder nach links. Auch dort standen die Hütten dicht gedrängt, nebeneinander und aufeinander. Der Boden der einen war das Dach der anderen. Auf manchen lagen gegerbte Felle zum Trocknen. Hier und dort gab es kleine Gemüsegärten, Weinreben und Nussbäume. Menschen saßen auf Holzbänken vor ihren Häusern, tranken Wein und aßen gegrillte Fische, nach denen die ganze Straße roch. Ein Priester des Grünen Gottes segnete jeden, der ihn einen Schluck Wein trinken ließ.
Vor einem hölzernen Tor hielten die Banditinnen an. Es befand sich in einer Steinmauer, die gut zwei Mannlängen hoch war. Mehrere Frauen, bewaffnet und ebenfalls mit Tüchern vor den Gesichtern, standen auf der Mauer und hielten Wache. Eine von ihnen gab jemandem im Innenhof ein Zeichen. Das Tor öffnete sich.
Ana drehte sich um und blickte zurück über die Stadt. Graue Rauchfahnen stiegen aus einigen Häusern in den dunklen Himmel. Sie erkannte den Marktplatz wieder, ließ den Blick weiterschweifen zu den Häusern am Hafen, den Schiffen, die dort lagen, den Masten, die hin und her schwankten und sich kreuzten wie Schwerterklingen, und noch weiter hinaus auf den Großen Fluss, eine
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