Der verwaiste Thron 02 - Verrat
drei hölzernen Waschzuber, die in der Sonne standen. Ana wischte tote Insekten beiseite, dann tauchte sie beide Hände in den Zuber und wusch sich das Gesicht. Das Wasser schmeckte süßlich, so wie der Wind roch, der vom Großen Fluss die Hügel heraufwehte. In Srzanizar, das hatte ihr eine der Frauen erzählt, war es üblich, sich mit Flusswasser zu waschen, auch wenn das Haus über einen Brunnen verfügte. Jeden Tag schleppten die Esel der Wasserhändler Hunderte von Fässern durch die Stadt; am frühen Morgen hallten ihre Rufe durch die Straßen. Erys und die anderen Frauen kauften kein Wasser. Die Händler stellten die Fässer einfach vor dem Tor ab.
Etwas raschelte. Erschrocken hob Ana den Kopf und fuhr sich mit dem Hemdsärmel über die Augen. Sie blinzelte, glaubte eine Bewegung zwischen den Kochnussstauden zu sehen und duckte sich. Sie hatte das Leben als Penya zwar hinter sich gelassen, vergessen hatte sie es nicht.
Im nächsten Moment erhob sich die Gestalt hinter den Stauden, und Ana atmete auf. Es war Hetie. Sie kehrte Ana den Rücken zu und erntete Nüsse. Ana erkannte das Mädchen an der Kleidung, die sie seit ihrer Ankunft nicht gewechselt hatte. Die Frauen hatten ihr welche angeboten, aber Marta hatte für sich und Hetie abgelehnt. Ana glaubte ihre Worte noch zu hören: Wenn wir schon als Sklaven unser Ende finden müssen, dann wenigstens nicht mit den Almosen anderer am Leib.
»Hetie«, sagte Ana. »Erntest …«
Hetie fuhr herum. Das Netz voller Nüsse, das sie über der Schulter getragen hatte, rutschte zu Boden. Mit der freien Hand riss sie sich ein Stück Stoff vom Gesicht, knüllte es zusammen und versteckte den Arm hinter dem Rücken. Es ging so schnell, dass Ana beinahe nicht bemerkt hätte, dass es sich um eines der Tücher handelte, mit denen sich die Banditinnen zu maskieren pflegten.
»Was machst du da?«, fragte sie. Es klang fordernder als beabsichtigt.
»Nichts. Ich ernte Nüsse.« Hetie bückte sich und hob das Netz auf. Die grünen, unterarmlangen Nüsse schlugen mit einem hohlen Geräusch gegeneinander.
»Mit einem Tuch vor dem Gesicht?«
Hetie antwortete nicht. Ihre Wangen waren gerötet wie nach einem Tag in der Sonne. Sie hielt den Kopf gesenkt.
Es ist ihr peinlich , erkannte Ana verspätet. Sie räusperte sich.
Hetie zog den Arm hinter dem Rücken hervor und ließ den Daumen über den Stoff gleiten. »Ich habe das Tuch gefunden.« Sie drehte den Stoff zwischen den Fingern. »Glaubst du, dass sie böse sind?«
»Wer?«
»Die Frauen.« Hetie sah immer noch nicht auf. »Sie töten Menschen und stehlen. Das ist doch böse, oder?«
Ana hob die Schultern. Der Wind kühlte das Wasser auf ihrem Gesicht. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Sie würden vielleicht verhungern, wenn sie es nicht täten.«
Die älteren Frauen hatten Männer und Söhne im Krieg gegen den Roten König verloren, die jüngeren im Krieg gegen die Nachtschatten. Nachbarn hatten sie von ihren Höfen gejagt oder die Boote gestohlen, mit denen die Männer gefischt hatten.
»Sie lehnen sich gegen ihr Schicksal auf«, fuhr Ana fort. »Steht ihnen das nicht zu?«
»Aber die Flussgötter haben ihnen dieses Schicksal gesandt. Wenn sie sich dagegen auflehnen, lehnen sie sich doch auch gegen die Götter auf.«
Ana fragte sich, weshalb Hetie sich so sehr mit dieser Frage beschäftigte. Sie erschien ihr unbedeutend.
»Wer kann schon sagen, was den Göttern gefällt«, sagte sie. Es war die gleiche Antwort, die ihr Vater den Priestern gegeben hatte, wenn sie ihn für den Handel mit Menschen hatten verurteilen wollen.
»Wer kann schon sagen, was den Göttern gefällt …« Hetie hob den Kopf. Sie wiederholte Anas Worte langsam, so als müsse sie jedes einzelne verstehen. Dann nickte sie. »Das stimmt. Niemand weiß …«
Sie ließ den Satz unvollendet. Ihre Augen richteten sich auf die Hintertür.
Ana drehte den Kopf. Marta stand im Türrahmen, die Hände auf die Hüften gestützt. »Hast du etwa dein Morgengebet vergessen?«, fragte sie in einem Tonfall, der die Luft wie ein Messer durchschnitt.
Hetie senkte den Blick. »Nein, ich wollte nur zuerst die Nüsse ernten.«
»Die Götter haben kein Verständnis für deine Ausflüchte.« Martas Blick fiel auf das Tuch in Heties Hand. »Was hast du da?«
Ana sah die Angst auf Heties Gesicht. »Nichts, nur …«
»Du bist zu nichts zu gebrauchen«, unterbrach Marta sie. »Und die falschen Nüsse hast du auch geerntet. Die reifen sind gelb, nicht grün!«
Sie
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