Der verwaiste Thron 02 - Verrat
die Augen mit der Handfläche schirmen. Er sah keine Nachtschatten auf dem Weg, nur den leeren Fahnenmast, der über die Hütten ragte.
Er stieß dem Hengst leicht die Fersen in die Flanken. Das Tier begann zu traben, dann zu galoppieren. Die Kapuze bauschte sich auf und fiel zurück auf seinen Rücken. Er hielt den Kopf hoch erhoben, das Kinn vorgestreckt. Ein Lastenträger sprang erschrocken zur Seite, als der Hengst an ihm vorbeigaloppierte. Er verlor seinen Korb. Äpfel rollten durch die Gasse.
»Pass doch auf!«, schrie der Mann.
Andere drehten sich um, wichen dem galoppierenden Hengst aus.
»Das ist der Verräter!«, rief eine Frau plötzlich, Sie hatte eine quietschende, hohe Stimme, die durch die Gasse hallte. »Seht nur, der Verräter!«
»Der Verräter!« Ein Mann zeigte auf Gerit. Der stellte sich in den Steigbügeln auf, sodass jeder ihn sehen konnte. Äpfel flogen an ihm vorbei, dann ein Stein.
Gerit ließ sich wieder in den Sattel fallen und legte den Kopf an den warmen Hals des Pferdes. Etwas traf sein Bein, aber es tat nicht weh.
Die Menschen brüllten Beleidigungen, einige liefen hinter ihm her. Sie konnten ihn nicht einholen, der Hengst war zu schnell. Seine Hufe wirbelten Staub auf, Gerit fühlte die Muskeln unter dem dunklen Fell. Loreanz hatte recht gehabt. Es war ein gutes Pferd.
Die Gasse wurde breiter, und nur noch wenige Hütten standen links und rechts der Straße. Gerit sah Reste einer Stadtmauer und Arbeiter, die Steine von einem Karren luden. Korvellan hatte die alte Mauer wieder aufbauen wollen, Schwarzklaue nicht. Gerit erinnerte sich an den Streit zwischen den beiden, bei dem Korvellan schließlich nachgegeben hatte.
Und dann hast du es einfach hinter seinem Rücken angeordnet , dachte er.
Gerit drehte den Kopf. Die Menschen, die ihn verfolgten, waren kaum noch zu sehen. Er zügelte sein Pferd und wartete, bis sie näher herangekommen waren.
»Leckt mich im Arsch!«, schrie er ihnen zu. Er machte eine obszöne Geste, deren Bedeutung ihm selbst nicht ganz klar war, und hielt sie den Verfolgern entgegen. Sie antworteten mit wütenden Schreien und Gesten.
Gerit grinste, dann galoppierte er gen Süden. Der Hengst scheute, als ein Apfel seinen Rücken traf. Sein Tritt wurde ungleichmäßig, er stolperte. Gerit presste die Lippen zusammen. Er durfte nicht stürzen. Zu sehr hatte er die Menschen hinter sich gereizt. Wenn er fiel, würde er nie wieder aufstehen.
Der Hengst fing sich. Gerit atmete auf und warf einen Blick zurück. Der Wind wehte ihm die Haare ins Gesicht. Er blinzelte und richtete sich auf, als er sah, dass seine Verfolger stehen geblieben waren. Sie wussten, dass sie ihn nicht mehr einholen konnten.
Er wandte sich von ihnen ab. So schnell würden sie ihn nicht vergessen, davon war er überzeugt, und wenn jemand nach ihm fragte, würden sie genau sagen können, in welche Richtung er geritten war.
Die Handelsstraße war breit. Vier Kutschen passten nebeneinander, egal, an welcher Stelle man auf sie traf. General Norhan hatte Gerit einmal erzählt, sie wäre älter als die vier Königreiche, vielleicht sogar so alt wie die Vergangenen. So gerade wie der Flug eines Pfeils verlief sie von Bochat im Norden bis zu den Menschenfressern von Hala'nar.
Gerit folgte ihr in Richtung Süden, bis die Stadt hinter ihm verschwunden war. Es waren nur wenige Reisende unterwegs. Er ritt an den kleinen Gruppen vorbei, die sie gebildet hatten, und bog von der Straße ab, als niemand in Sichtweite war. An den Zügeln führte er das Pferd zum Fluss. Durch das hohe Schilfgras sah er das Wasser erst, als es nur noch wenige Schritte entfernt war.
Gerit zog die Stiefel aus und den Umhang. Es fühlte sich gut an, wieder den Boden unter den Fußsohlen zu spüren. Er schnallte den Sattel ab, nachdem er zuvor den Stoffbeutel losgebunden hatte. Er war leer bis auf eine Decke. Das Pferd begann aus dem Fluss zu trinken, als Gerit ihm die Decke überwarf. Die Vorräte – hauptsächlich Hartwürste, Brot und einen Tontopf mit Öl – stopfte er in den Beutel. Stiefel und Umhang packte er zusammen mit einigen Steinen in die Satteltaschen, dann trat er ans Ufer und warf sie ins Wasser.
Die Taschen gingen nach einem Moment unter, ebenso wie der Sattel. Er nahm das Pferd an den Zügeln und führte es ins Wasser, dann rieb er es mit beiden Händen mit Uferschlamm ein.
Das muss reichen , dachte er, setzte sich auf einen Stein und wartete. Erst als die Sonne hoch am Himmel stand und der Schlamm auf
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