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Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Titel: Der verwaiste Thron 02 - Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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vereint.
    Sie wünschte sich, sie hätte besser auf diese Traditionen geachtet, denn sie konnte sich kaum noch an die Zeremonie erinnern.
    Auf der letzten Stufe der Treppe blieb Erys stehen. »Ana, Erbin von Somerstorm, wird uns nun segnen. Kniet nieder, wenn ihr den Segen empfangen wollt.«
    Im ersten Moment glaubte Ana, niemand würde niederknien. Die Frauen sahen sich stumm an, doch dann ging Erys in die Knie, und nach und nach folgten ihr die Frauen, bis nur noch zwei standen.
    Ana legte die Hand auf die Lederkappe, die Erys' Kopf umgab. Es war die gleiche Geste, die ihr Vater benutzt hatte, aber seine Worte fehlten ihr. Sie hatten sich um Somerstorm gedreht, um das Land, den Wind und das Meer. Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Diese Frauen kämpften nicht für Somerstorm, vielleicht hatte niemand das je getan. Sie kämpften für Gold, sie kämpften für sich selbst.
    Die Ersten wurden unruhig und sahen auf.
    »Sag irgendwas«, flüsterte Erys.
    Ana räusperte sich und legte auch die andere Hand auf ihren Kopf. Sie sprach das erste Wort aus, das ihr in den Sinn kam.
    »Hoffnung.«
    Sie glaubte, Erys' Überraschung durch das Leder zu spüren. Doch dann wiederholte sie: »Hoffnung.«
    Ana ging weiter, legte einer Frau nach der anderen die Hände auf den Kopf.
    »Hoffnung.«
    »Hoffnung.«
    Ein Dutzend Dialekte, gesprochen von alten und jungen Stimmen, von Kämpferinnen, die wussten, dass Anas Segen aus nicht mehr bestand als dem Trinkspruch Westfalls. Dennoch berührte das Wort etwas in Ana, und mit jedem Segen wurde es stärker, bis ihr Tränen in die Augen traten. Sie spürte, wie das Wort sie vereinte, wie die Stimmung auf dem Hof eine andere wurde als zuvor.
    Sie erreichte die letzte Reihe der Knienden. »Hoff…«, sagte sie.
    Meckerndes Lachen unterbrach sie. Ana zuckte zusammen. Um sie herum richteten sich Frauen auf, als erwachten sie aus einem Traum.
    »Seht euch das an!« Marta zeigte mit dem Finger auf den Stalleingang und lachte spitz und laut wie eine Ziege. Ana drehte den Kopf.
    Hetie stand in der Tür. Ana wusste, dass es Hetie war, obwohl sie sich das Tuch vor die untere Gesichtshälfte gebunden hatte, so wie es die Banditinnen bei ihren Überfällen trugen.
    Als sie einen Schritt nach vorn machte, rutschte ihr das Tuch über die Stupsnase nach unten, doch sie zog es hastig wieder hoch.
    »Was soll das?«, rief Erys.
    Hetie trat in den Hof. »Ich will eine von euch werden«, erklärte sie. Ihre Stimme zitterte. Ana sah, dass sie sich einen Strick um die Hüfte gebunden hatte. Ein kleines, halb verrostetes Messer steckte darin. Ana erinnerte sich, dass Hetie noch am Mittag die Nüsse damit ausgekratzt hatte.
    »Du dummes kleines Mädchen!« Marta war mit drei Schritten bei ihr, packte sie am Arm und versuchte, sie in den Stall zurückzuziehen. »Komm!«
    Hetie rührte sich nicht. Ihr Blick glitt über die erstaunten Gesichter der anderen Frauen und blieb auf Erys hängen. »Ich bin keine Sklavin«, sagte sie.
    »Du bist, was immer die Götter wollen.« Marta zog an Heties Arm, aber sie stemmte sich gegen den Griff.
    »Lass mich los!«
    Martas flache Hand traf sie am Kopf und riss ihr das Tuch vom Gesicht. Hetie zuckte zurück. Der dunkle Stoff fiel vor ihr in den Staub.
    »Komm endlich.«
    »Nein!«
    Erys hob die Hand. »Schluss jetzt!«
    Marta ließ Hetie los und trat zur Seite. Furcht stand in ihrem Gesicht. Ana fragte sich, ob sie sich um sich selbst oder um Hetie sorgte. »Sie weiß nicht, was sie sagt. Sie ist nur ein dummes Mädchen.«
    Ana schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht dumm.« Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Erys ihr einen missbilligenden Blick zuwarf. Sie tat so, als bemerke sie ihn nicht. »Sie will nur ein besseres Leben führen, statt die Flussgötter um den Tod zu bitten. Das ist doch nicht falsch, oder?«
    Sie richtete die Frage an Erys.
    »Nein«, sagte die ältere Frau. Sie klang müde. »Das ist nicht falsch.« Sie sah Hetie an. »Du wirst ein besseres Leben führen, aber nicht hier, sondern …«
    »Ich bin keine Sklavin«, unterbrach Hetie sie.
    »Doch, das bist du. Du warst nie etwas anderes, noch wirst du je etwas anderes sein. Und du weißt es auch.«
    Ana sah, wie Fleties Schultern herabsackten und sich ihr Rücken krümmte, fast so, als wären ihre Knochen auf einmal weich geworden.
    Erys nickte Purro zu. »Bring Hetie in eine Zelle, damit sie nachdenken kann.«
    Er stand auf. Hetie ließ sich von ihm ins Innere des Stalls führen wie Vieh. Marta folgte

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