Der Veteran: Roman
Ich fragte mich, wie lange es noch dauerte, bis sie versiegten. Bis sie mehr tote Menschen kannte, als sie Tränen hatte.
»Hm«, machte ich. »Solche Sachen sind im Grunde ganz gut, aber sie sind kein Ersatz für echte Fähigkeiten und wirkliche Erfahrungen.«
Sie nickte und blinzelte ihre Tränen fort.
»Du musst sie dir angewöhnen«, fuhr ich fort, »sie einüben. Ich werde noch einmal alles mit dir durchgehen, sobald wir genug Zeit und Raum dazu haben.«
Wieder nickte sie. Meine alten Vorurteile gegenüber Softskills kamen wieder hoch. Auch ich hatte sie benutzt - schließlich kann man nicht alles lernen -, aber ich fand, dass die Leute richtig lernen sollten, wie man kämpfte.
Der Ort hieß Fosterton. Im Wesentlichen bestand er aus einer Reihe von großen verrostenden Lastkähnen, die nebeneinander auf dem Humber lagen, dort, wo sich vor dem Anstieg des Meeresspiegels die nordöstliche Ecke von Lincolnshire befunden hatte. Es war ein Privathafen mit Kränen und LastenMechs, die alles von Tragflächenbooten bis zu kleinen Schiffen und Schlitten entluden. Ganz offensichtlich war es ein Schmugglerhafen.
Der Heide redete mit den Leuten, denen der Hafen gehörte, drei Generationen einer Familie, die hier wahrscheinlich schon seit mehreren Jahrhunderten lebte. Keiner von ihnen hatte militärische Implantate, soweit ich erkennen konnte, nur die Kybernetik, die sie brauchten, um ihr Unternehmen führen zu können. Ich glaubte nicht, dass irgendeiner von ihnen Militärdienst
geleistet hatte. Ich spürte leichten Neid - ein Familie mit Zusammengehörigkeitsgefühl, die eine Heimat hatte. Ungeachtet ihrer mangelhaften militärischen Ausrüstung wäre es dumm gewesen, ihnen Ärger zu machen, da sie hier offensichtlich alles im Griff hatten.
Zweifellos hatte der Heide schon früher mit ihnen zu tun gehabt, aber sie schienen nicht glücklich zu sein, ihn wiederzusehen. Er versuchte, irgendwie eine Passage für uns zu buchen, doch die Betreiber von Fosterton blickten immer wieder zu Morag und mir herüber, die wir erschöpft an eine Frachtkiste gelehnt dasaßen. Ich fragte mich, ob sie Bescheid wussten. Hatten sie von den Kopfprämien gehört, die man angeblich auf uns ausgesetzt hatte?
»Wer ist Howard Mudgie?«, fragte Morag plötzlich.
Ich blickte sie verdutzt an. Ich hätte nie erwartet, diesen Namen aus ihrem Mund zu hören.
»Woher kennst du diesen Namen?«, fragte ich sie.
»Weißt du, was die NSA ist?«
»Ja«, antwortete ich. Es war so gut wie unmöglich, es nicht zu wissen, wenn man in meinem Tätigkeitsfeld gearbeitet hatte.
»Einige der Informationen, die Botschafter mir gegeben hat, verbinden deinen Namen mit diesem Mudgie.«
»Wie?«, fragte ich.
»Du bist einfach nur unter seinen Bekannten aufgelistet. Ich glaube, die Info kam von außerhalb der NSA, aber ich kann nicht sagen, von wem.«
Das kann nur jemand mit viel Einfluss sein , dachte ich.
»Howard war ein Mitglied der Wild Boys …«
»Wild Boys?«, fragte sie schmunzelnd.
Ich vergaß manchmal, dass die Namen, die für uns einen so mächtigen Klang hatten, für die Uneingeweihten oftmals einfach nur albern klangen.
»Die SAS-Einheit, bei der ich war.« Damit stellte ich klar,
dass man sich meiner Ansicht nach nicht über diesen Namen lustig machen durfte. »Er war nicht mal bei der Armee. Er war Journalist, aber schon so lange mit uns im Einsatz, dass er genauso gut war wie alle anderen und sogar Gefallen an der Sache gefunden hatte.«
»Er war gerne Soldat?«, fragte sie ungläubig.
Darüber dachte ich eine Weile nach. »So einfach ist es nicht«, sagte ich schließlich. »Er und viele andere von uns … wir konnten es nicht einfach ablegen. Nach einer Weile ist man so gut darin, dass es völlig normal wird …«
»Heißt das, es macht dir Spaß?«, fragte sie.
Ich blickte sie von der Seite an. Sie schaute mit besorgter Miene zu mir auf.
»Hältst du mich für verrückt?«, fragte ich. »Glaubst du wirklich, dass mir die Sache vorhin Spaß gemacht hat?«
»Ich bin zwar alles andere als ein Kriegsheld, aber mit Verrückten kenne ich mich aus«, sagte sie kalt.
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, sagte ich nickend. Und wieder hatte ich das Gefühl, ich müsste mich wegen der Dinge, die passiert waren, bei ihr entschuldigen. »So schlimm es hier und in Dundee gewesen sein mag, es ist kein Vergleich zu dem, was da draußen los ist. Ich weiß, dass es herablassend klingt, aber manche Dinge, die wir getan haben, ergeben erst dann
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