Der Vogelmann
den Duft von Geißblatt einzulassen, eine Rotweinmarinade fürs Abendessen vor. Sie war beim Joggen gewesen, entlang ihrer üblichen Route über die Trafalgar Street, am St. Dunstan vorbei und durch den Park, und sie trug noch ihre graue Jogginghose und ein schwarzweißes Nike-Sweatshirt über ihrem Sport-BH: Ihr blondes, leicht feuchtes Haar war noch immer zum Pferdeschwanz gebunden. Sie hatte keine Zeit mehr, um sich zu baden, bevor sie Michael vom Bahnhof abholen würde. Er arbeitete lange und nahm den Zug um zwanzig Uhr fünfundvierzig von der London Bridge. Auf dem gescheuerten Fichtenholztisch hinter ihr hatte sie BBC 1 eingeschaltet, um die Nachrichten zu hören.
Sie nahm eine Knoblauchzehe und schälte sie. Hinter ihr ertönte ein Uhrenschlag, und die Nachrichten begannen. »In Südostlondon wurde eine weitere Leiche gefunden. Scotland Yard will eine Verbindung zu den Harteveld-Morden nicht ausschließen.«
Susan legte schnell die Knoblauchzehe weg, stellte den Fernseher lauter und lehnte sich mit einem Glas Wein in der Hand gegen die Küchentheke. »Während genauere Einzelheiten bekannt
werden, fordern Parlamentarier eine rasche Entscheidung über die geplante Abteilung für Kapitalverbrechen.« Der Innenminster stand vor dem Rasen der Parlamentsgebäude, und der Wind wehte Strähnen seines dünnen Haares in die Luft. Er versicherte sein Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer und betonte die sinkende Zahl der Verbrechensrate in diesem Jahr. Dann sagte Sir Paul Condon, der geschniegelt und gebügelt an einem Konferenztisch saß, vor den laufenden Kameras, daß das CIP und AMIP von Greenwich absolut kompetent seien, aber weder bestätigen noch verneinen könnten, daß es sich hierbei um ein Opfer von Harteveld handle.
Susan trank nachdenklich ihren Wein. Harteveld hatte nur eine halbe Meile entfernt gewohnt und, Gott, sie hatte herausgefunden, daß der auffällige grüne Wagen, den sie bei ihren morgendlichen Läufen vor dem St. Dunstan gesehen hatte, der seine gewesen war. Und jetzt – das. Eine weitere Leiche.
Es folgte ein Schnitt, und man sah eine Londoner Straße, die sofort als Royal Hill erkennbar war; drei Detectives in grauen Anzügen kamen näher und trugen eine gelbe Kiste. Dann eine Luftaufnahme, ein kurzer Schwenk über die Häuser der Malpens Street und dann ein Schnitt zurück auf die geisterhaften Gestalten in weißen Anzügen, die zwischen Absperrbändern umherirrten.
»Damit steigt die inoffizielle Zahl der Opfer auf sechs, von denen bis jetzt nur vier identifiziert wurden. Chief Superintendent Days vom Südostlondoner AMIP weigerte sich zu bestätigen, daß eine Verbindung zu Toby Harteveld untersucht werde.«
Susan wurde in ihrer Küche plötzlich von einer irrationalen Angst gepackt, sie griff hinüber, um das Fenster zu schließen. Eine Leiche in Royal Hill. Wie nahe war sie der Gefahr gekommen? Bedrückt wandte sie sich wieder ihrer Küchenarbeit zu und war sich auf unangenehme Weise ihres Schattens bewußt, der geräuschlos über den unheimlichen Geißblattbusch im Fenster strich. Sie nahm die chinesische Gewürzmischung, dazu
einen Spritzer Sojasoße und wendete das Schweinefleisch darin. Schnell spülte sie sich die Hände ab und nahm die Wagenschlüssel vom Kühlschrank. Michael würde warten.
Draußen war es warm und mild, und der Abend war vom Duft des blühenden Jasminbuschs im Nachbargarten erfüllt. Sie blieb einen Moment stehen. Es war alles vorbei. Harteveld war tot, er lag irgendwo in einem Leichenhaus, und sie konnte diese bohrende Angst vergessen. Die Straße sah genauso aus wie immer bei Nacht, Insekten schwärmten unter den gelben Straßenlichtern, die Palmen im Nachbargarten verbreiteten einen sumpfigen Geruch in der Luft, als wäre man im Süden und das Zirpen von Zikaden würde gleich einsetzen. Nichts war ungewöhnlich. Ein Wagen, dessen Marke sie nicht kannte, irgendwas Französisches, vielleicht ein Peugeot, parkte auf der Straße.
Vielleicht würde sie heute abend Michael vorschlagen, eine Alarmanlage im Haus einzubauen. Nachdem er in letzter Zeit immer bis spätnachts arbeitete, würde sie sich sicherer fühlen. Sie ging die paar Schritte bis zu ihrem Fiesta. Das war eine gute Idee. Ein Hund.
Im Innern des Wagens war es noch immer heiß, da er den Tag über in der Sonne gestanden hatte, und sie bemerkte einen beißenden Geruch. Ihr Mann hatte die Angewohnheit, tagelang seine benutzte Cricketausrüstung im Kofferraum zu lassen. »Ich bring’ dich
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