Der Vogelmann
mildern, die alle umgab.
Maddox seufzte. »Also gut.« Er strich sich übers Gesicht und sah zu Essex und Marilyn auf. »Sie beide wissen, was letzte Nacht geschehen ist.«
»Ja.«
»Und bei Peace Jackson ist ein Haar gefunden worden, das wir nicht einordnen können. Daraus müssen wir auf ein anderes Opfer schließen. Also ist mir gleichgültig, wie müde alle sind, wir müssen noch einen Zahn zulegen.« Er sah auf. »Jack? Sind Sie bereit?«
»Ja.«
»Also los.« Er fuhr mit der Hand durch die Luft. »Also los. Erzählen Sie ihnen, was Sie mir erzählt haben.«
»Ja, also gut …« Er zögerte einen Moment und starrte noch immer zu Boden. Dann klärte sich seine Miene. Er setzte die Brille auf und wandte sich ihnen zu.
»Es ist der Vogelmann«, sagt er einfach.
Essex und Marilyn tauschten Blicke aus.
»Ein Nachahmungstäter?« sagte Essex.
»Nein. Ich meine, das ist der Vogelmann. Die Presse hatte nie genügend Material für einen Nachahmungstäter. Harteveld war der Mörder. Der Vogelmann ist der Verstümmler. Harteveld ist tot, der Vogelmann ist noch immer am Werk.«
Marilyn hörte auf, Zucker in ihren Kaffee zu löffeln, und
starrte ihn an. Essex runzelte die Stirn, er drehte seine Kaffeetasse auf dem blau-silbernen Mousepad. Maddox stützte das Kinn auf die Hand und beobachtete ihre Reaktion. Dann schwenkte sein Blick zu Caffery hinüber. »Sie müssen sie überzeugen.«
»Das kann ich.»Er öffnete seine Aktentasche und reichte Marilyn die Notizen, die er im Forensischen Institut gemacht hatte. »Jane Amedure sagt, die postmortalen Verletzungen bei Peace Nbidi Jackson stimmen mit denjenigen bei den anderen überein, sie wurden ihr drei Tage nach Eintritt des Todes beigebracht.«
»Das heißt?«
»Das heißt, daß Harteveld überwacht wurde oder schon tot war, als sie ihr beigebracht wurden. Fiona und Logan konnten in der Wohnung in der Halesowen Road keinerlei Hinweise finden, weil Harteveld die Verstümmelungen nicht vorgenommen hat. Es war jemand anders.«
»Scheint sich um einen Club zu handeln.« Marilyn reichte Essex die Notizen und rührte wieder in ihrem Kaffee. »Ein Nekrophilenclub. Die üblichen Regeln: keine Schwarzen, keine Juden, keine Lateinamerikaner im Clubhaus …«
»Nein, nein, Marilyn.« Maddox hob die Hand. »Lassen Sie ihn weitermachen. Wir können kichern, wenn er den Fallhergang geschildert hat.«
»Gut.« Caffery setzte sich ihnen gegenüber und legte die Hände auf den Tisch. »Ich glaube, es ist so abgelaufen: Harteveld ist ein Nekrophiler, daran besteht kein Zweifel. Aber er ist untypisch für diese Art von Perversion, weil er gebildet ist: Er weiß, in welchen Schlamassel er dadurch geraten könnte, also hält er seine Neigung verborgen, lebt sie nicht aus: Angenommen, er ist ein herkömmlicher Perverser, hätte das Jahre in ihm brodeln können. Vor sieben Monaten jedoch hat ihn etwas explodieren lassen: Ein Schlüsselreiz wird ausgelöst, vielleicht zerbricht eine Beziehung, ein beruflicher Umbruch, wir werden wahrscheinlich nie genau erfahren, was es war, aber seine Neigung tritt offen zutage. Er handelt, ohne nachzudenken, beschafft
sich seine Lustobjekte, und wenn es vorbei ist, stellt er fest, in welchen Schwierigkeiten er steckt.«
»Er sitzt mit einer Leiche da.«
»Und hat panische Angst, sie nicht loszuwerden. Aber das geht in Ordnung, weil er jemanden kennt, der ihm helfen kann. Kein anderer Nekrophiler. Sondern ein Opportunist. Ein sexuell Abartiger, ein Sadist. Jemand, der krank genug ist, daß es ihn nicht kümmert, ob das Opfer lebendig oder tot ist. Er ist es, nicht Harteveld, der die Leichen wäscht.«
»Waschen von Ware aus zweiter Hand«, murmelte Essex.
»Fiona hat in Hartevelds Wohnungen keine Seife gefunden.« Maddox zupfte am Deckel einer kleinen Milchtüte. »Was für Seife war es?«
»Wright’s Kernseife.«
»Hm.« Er schwieg einen Moment. Er goß die Milch in seinen Kaffee, schüttelte die letzten Tropfen aus der Tüte und sah seinen Detective Inspector nachdenklich an. »Machen Sie weiter, Jack. Ich hab’s schon fast kapiert.« Er warf die kleine Tüte in den Abfall und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Überzeugen Sie uns.«
»Also gut. Erinnern Sie sich, wir konnten nicht verstehen, wie Harteveld es geschafft hat, Opfer zu finden, die nicht vermißt werden würden? Logan hat Gemini ein Foto von Harteveld gezeigt, das ihm nichts sagte. Der Barfrau ebenfalls nicht. Als wäre er nie in dem Pub gewesen. Gemini hat die
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