Der Wachsmann
hatte ihm gar den Tod gewünscht und – schlimmer noch. Er hatte getönt, daß er ihn eigenhändig umbringen könne.
Mein Gott, was habe ich getan? Das ist natürlich alles nicht wahr. Nie… nie könnte ich so etwas tun.
Peter packte das Entsetzen und schreckliche Angst, daß er sich versündigt habe. Und wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben, steuerte er auf das Gotteshaus der Augustinereremiten zu, das Johannes dem Täufer und dem gleichnamigen Evangelisten geweiht war. Durch ein Portal des Seitenschiffes betrat er die Basilika, wo er sich vor einem mächtigen Pfeiler auf dem Fliesenboden niederließ. Anders als die prächtigen neuen Kathedralen, waren die Kirchen der Bettelmönche ganz im Sinne des heiligen Bernhard von Clairvaux einfach und schlicht gehalten, damit das Auge nicht unziemlich abschweife und rechter Frömmigkeit entgegen stehe. Sie waren somit vortrefflich geeignet, den Blick nach innen zu richten, die Sinne zu beruhigen und einen ruhelosen Geist zu befrieden. Peter lehnte sich mit dem Rücken an die große Säule, schloß für eine Weile die Augen und dachte über das Geschehene nach. An ihm lag es doch nicht. Er wollte schließlich zur Familie gehören. Dieser Klotz von Bruder und seine giftige Mutter, die stellten sich stur. Er dachte an Barbara. Wie freundlich sie war. Und wie sie wohl mit der Situation zurechtkam? Sie hatte nicht unglücklich gewirkt, ganz und gar nicht. Konnte es etwa sein, daß sein vermaledeiter Bruder auf seine Weise sogar umgänglich war? Schwer vorstellbar. Peter lächelte grimmig. Die Anspielung auf Vaters ungeteilte Zuneigung für ihn hatte ins Schwarze getroffen. Doch Peter fühlte sich plötzlich nicht mehr großartig deswegen, verspürte nicht mehr das Gefühl des Triumphs und moralischer Überlegenheit. Trug nicht auch er den Haß in sich? War er selbst völlig frei von Neid? Wollte er wirklich nur sein Recht und nicht eher Rache? Schließlich führte auch er bei seinem Besuch nicht gerade die Sanftmut im Wappen. Die Dinge vermischten sich, waren bald nur noch schwer auseinanderzuhalten. Peter versuchte, für eine Weile an gar nichts zu denken. Fast wäre er dabei eingenickt. So sprang er kurz darauf wieder auf und schritt die weite Halle des Gotteshauses entlang. Dort vorne im seitlichen Anbau lud die Maria-Magdalenen-Kapelle zum Gebet ein. Die angesehenen Brüder Konrad und Heinrich Freymanner hatten sie vor wenigen Jahren gestiftet. Und obwohl den strengen Regeln der Barfüßer zufolge die Glasfenster eher weiß und schmucklos gehalten sein sollten, hatten Wille und Geld der vornehmen Stifter eine Ausnahme bewirkt. Das warme Licht des Spätnachmittags ließ hier die Farben zweier Glasbilder aufleuchten. Das linke war dem Leben der großen Büßerin gewidmet, das rechte zeigte Szenen aus dem Leben des Patriarchen Joseph.
Peter erinnerte sich. Er hatte seiner Mutter und später Bruder Lukas gerne gelauscht, wenn sie ihm die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern erzählt hatten. Sie war spannend wie ein ritterliches Abenteuer, und der Knabe Peter hatte mit dem Knaben Joseph gelitten bei dessen Verkauf und stolz mit ihm triumphiert bei seiner Erhöhung zum Pharao. Joseph hatte seinen Brüdern aber auch verziehen. Peter lächelte gequält.
»Du scheinst vom Leben des Patriarchen recht angetan zu sein, mein Sohn.«
Peter fuhr erschrocken herum und blickte in die freundliche Miene eines hochgewachsenen Mannes in besten Jahren, der die schwarze Kutte der Augustinereremiten trug. Nur die Feinheit seiner Gesichtszüge und ein auffälliges Kreuz vor der Brust ließen die Würde eines höheren Standes erahnen. »Verzeih!« fuhr er fort. »Ich wollte dich nicht in deiner Betrachtung stören. Du stehst hier nur schon eine ganze Weile und bist mithin ein schönes Beispiel für die These, daß Bilder und Figuren nicht unbedingt unserer Andacht abträglich sein müssen. Ich habe immer mehr zu der Ansicht geneigt, daß sie uns auch Vorbilder sein können und daß das Haus Gottes Abbild seines gesamten Universums und das vielfarbige Licht Abglanz des Leuchtens seiner himmlischen Wohnstadt sei, wie Abt Sugerius von Saint-Denis postulierte. Doch leider teilen die wenigsten meiner Brüder diese Auffassung.« Der Ordensmann zuckte bedauernd mit den Schultern, lächelte aber nachsichtig und verständnisvoll.
Peter vermochte den gelehrten Ausführungen des Mönches nicht ganz zu folgen und trug eine fragende Miene zur Schau, so daß dieser hinzufügte: »Wenn wir die
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