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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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ein Christenmensch auf überaus unchristliche Weise vor seinen Richter berufen wurde. Aber das Ungeheuerliche dieser ruchlosen Tat lag darin, daß die in wenigen Tagen beginnende Jakobidult über den gewöhnlichen Stadtfrieden hinaus ein offen gefreiter Jahrmarkt war. Allen Kaufleuten und Besuchern verhieß dieser besondere Marktfriede Schutz und sicheres Geleit und zwar auch während der Reisetage davor und danach. Der frevelhafte Bruch dieses heiligen Friedens war es, was die Menschen in Schrecken versetzte und nach den vorausgegangenen Greueln Schlimmes befürchten ließ.
    Peter und Paul waren am späteren Abend mit einem Teil der Flößer in leidenschaftliche Diskussion über die Unglücksbotschaft vertieft, als die Tür aufging und Ludwig Pütrich das Wirtshaus betrat. Sofort richteten sich aller Augen auf ihn und nach Augenblicken unheimlicher Stille mischten sich Hochrufe mit einem Schwall aufgeregter Fragen.
    »Was ist los?« fragte Pütrich mit beinahe amüsiertem Staunen, nachdem sich der Sturm einigermaßen gelegt hatte und er zu Worte kam.
    »Wir dachten, Ihr seid tot.«
    »Was? Ich?«
    »Aber Ihr wurdet doch überfallen.«
    »Ach so! Nein, nein. Es war der Sohn meines Bruders, dem sie auflauerten. Aber er kam gottlob kaum zu Schaden. Dem Himmel sei Dank!«
    Erleichterung machte sich breit, und Ludwig Pütrich ließ es sich nicht nehmen, zur Feier der glücklichen Rettung seines gleichnamigen Neffen jedermann einen Trunk zu spendieren.
    Seit Peter den Flößern mitgeteilt hatte, daß Leonharts Befreiung in erster Linie wohl der Überbringung des Psalterblattes durch Ludwig Pütrich zu danken war, war dieser an deren Tisch wohlgelitten. Und noch lieber rückten sie jetzt zusammen, da der späte Gast nicht nur freigebig war, sondern auch den wahren Gehalt der Schreckensmeldung übermitteln konnte.
    Der Neffe habe sich auf dem Heimweg befunden mit kostbarer Fracht aus Venetien und Tirol. Er sei anläßlich der Jakobimesse zurückgekehrt und um familiäre Dinge zu regeln. Im dichten Forst nach Baierbrunn sei urplötzlich der Angriff erfolgt. Aber ebenso rasch seien die Angreifer auch wieder verschwunden. Ein Bolzen sei um Haaresbreite am Kopf des jungen Kaufmanns vorbeigeschossen. Ein zweiter habe seinen Oberschenkel durchschlagen und ihn förmlich am Sattel festgenagelt. Aber es habe ihn zum Glück nur einen Fetzen Fleisch gekostet.
    Wieder und wieder wurde auf Ludwigs Schutzengel und die wundersame Fügung getrunken. Und der Mathes verstieg sich gar zu der Behauptung, es sei des Jakobs Geist höchstpersönlich gewesen, der den todbringenden Bolzen abgelenkt habe und an der Stätte seines eigenen Unglücks jetzt dafür Sorge trage, daß andere unversehrt und heil blieben. Auf den Einwand, warum dann der Kaufmann am Bein getroffen worden sei, flüchtete sich Mathes in die dreiste Vermutung, daß wohl auch Geister eine Lehrzeit hätten.
    Nicht nur Peter stießen die Mutmaßungen sauer auf, aber er fragte sich – und danach den Kaufmann – vor allem, warum nichts gestohlen worden sei, wo die Reisenden doch angeblich so kostbare Ladung mit sich geführt hätten.
    »Oh, ich denke«, erklärte der Oheim des Überfallenen, »daß die feige Bande rasch erkannte, daß bewaffnete Reiter den Zug begleiteten, die sich zu wehren wußten, so daß sie sich ohne Beute zurückzogen.«
    »Mag sein«, murmelte Peter abwesend. »Merkwürdig ist’s dennoch.«
    Später, als die meisten schon gegangen waren, wandte sich Agnes noch einmal an die Namensvettern der Apostelfürsten.
    »Ich finde es irgendwie seltsam, daß Pütrich, ich meine den, der hier war, bei so einem Anlaß nicht in der Familie bleibt.«
    »Und ich frage mich«, gab Peter grübelnd zu bedenken, »warum der Kaufmann in letzter Zeit auffallend oft hier erscheint. Das ist doch nicht unbedingt der rechte Ort und Umgang für einen feinen Herrn…«
    »Willst du damit vielleicht sagen«, brauste Agnes streitlustig auf, »daß diese Stube oder meine Person ungastlich oder zu wenig vornehm wäre? Oder sticht dich einfach wieder mal der Hafer?«
    Peter versicherte schleunigst, daß er nimmermehr solches gedacht habe. Merkwürdig, sagte er dafür nur zu sich selbst, irgendwie ist die Agnes empfindlicher geworden.
    Der Vorfall ließ Peter auch am anderen Morgen noch keine Ruhe. Er hoffte nur, daß Konrad Diener bereits tätig geworden war. Die abscheuliche Verletzung der Marktfreiung durfte er nicht einfach so hinnehmen. Und wenn er darob seine Knechte ausschickte, dann

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