Der Wachsmann
du. Ich mach’ mir Sorgen um meinen eigenen Hals. Ich will nicht wegen deiner Rache dem Henker in die Schlinge laufen.«
»Mitgegangen – mitgehangen!« bemerkte der andere trocken.
»Nein. Wir könnten die Dinge für uns beide zum Vorteil wenden. Hör zu…«
Am Donnerstag dieser endlos erscheinenden Woche, in der es wiederholt auch anhaltend und heftig geregnet hatte, schlich Peter um die Mittagszeit mißmutig nach Hause. Eine Gruppe von Zimmerleuten war gerade dabei, zwei große Wurfmaschinen mit Hilfe von Pferden und mancherlei Flüchen durchs schlammige Tal zur Ringmauer zu bewegen, um sie dort in Stellung zu bringen. Ein stattlicher Mann, der eben noch den Handwerkern Anweisungen gegeben hatte, löste sich aus der Gruppe und strebte wieder dem Rathaus zu. Peter erkannte in ihm Marquard Drächsel, den Sproß einer alten Ratsfamilie, der trotz seiner Jugend in diesem Jahr das Amt des Stadtkämmerers innehatte, zusammen mit Nikolaus Schrenck. Drächsel war in diesen Tagen vielbeschäftigt und schien beinahe bemüht, überall gleichzeitig zu sein, denn neben der Überwachung von Stadtfinanzen und Steuern, Zöllnern und Ungeltern sowie Marktmessern und Waagmeistern, oblag ihm auch die Aufsicht über Wehr und Rüstzeug der Stadt. Der Kämmerer prüfte unermüdlich Bestand und Beschaffenheit der Waffen, registrierte Schleudermaschinen und Armbrüste und kümmerte sich um ausreichenden Vorrat an Bolzen und Pfeilen. Drächsel bewohnte ein großes Anwesen, das vom Rindermarkt hinunterreichte bis zum Krottental, und dort an den inneren Stadtgraben und einen Torturm angrenzte. Das Tor im Winkel zwischen Grieß und Anger hieß daher einfach porta Dornatoris, des Drächsels Torturm.
Peter hielt die Gelegenheit für günstig. Ein paar schnelle Schritte brachten ihn an die Seite des Stadtbeamteten, und im Weitergehen sprach Peter ihn wie beiläufig an:
»Gott zum Gruß, Herr Rat! Ihr seid viel gefragt dieser Tage.«
»Gruß auch Euch, Peter Barth. Da mögt Ihr wohl recht haben. Zerreißen sollt’ man sich förmlich.«
»Wie steht’s denn um unsere Sicherheit? Glaubt Ihr, die Mauer hat Bestand?«
»Ja, freilich!« erwiderte Drächsel zuversichtlich. »Kann kommen, wer mag. Außer einer blutigen Nase gibt’s hier nichts zu holen.«
»Tut gut, wenn Ihr das sagt, wo man doch manchesmal hört, daß nicht nur die Ratten die Lücke in der Mauer finden.«
»Wie meint Ihr das?«
»Ach, nur so. Wird halt viel geredet.«
»Viel Unsinn zumal, dünkt mich. Ich weiß nur von einem Schlupfloch, das hinterm Spitalbad, gleich neben meinem Turm. Hab’s oft genug moniert, und nun scheint mir’s in Ordnung zu sein.«
»Wenn aber nun…«, fragte Peter so unverdächtig wie möglich, »einer aus der Stadt nach Torsperre plötzlich draußen auftaucht, sagen wir: einer von den ehrenwerten Pütrichs zum Beispiel. Müßte der dann draußenbleiben?«
»Die Herren kennt man gut. Es wär’ nicht recht sie auszusperren und ihnen den Schutz der Stadt zu verweigern.«
»Mit Verlaub«, wandte Peter möglichst unschuldig ein, »hat nicht der Rat…«
»Gewiß!« Drächsel wußte sofort, worauf Peter anspielte. »Dies hat auch für jedermann Gültigkeit. Aber schließlich gehören die Kaufherren Pütrich und ich selbst dem Rat an, und seid versichert, die Ausnahme wäre höchst selten.«
Peter hatte fürs erste gehört, was er hören wollte und empfahl sich mit höflichem Gruß.
Am frühen Freitag abend, als die Mehrzahl der Stadtbewohner schon den verdienten Feierabend genoß, schreckte ein neues Gerücht die friedvoll daliegende Stadt auf. Ja, es fiel wie ein mehrköpfiger Drache über sie her, denn die Schreckensmeldung hatte zunächst viele Gesichter.
»Ludwig Pütrich ist überfallen worden!« So lautete der Kern der Geschichte, der noch einheitlich durch die Gassen eilte. Aber während die einen den Kaufmann erschlagen wußten, behaupteten die anderen, er sei nur ausgeraubt worden und mit dem Leben davongekommen. Wieder andere versicherten, er habe rechtzeitig entfliehen können, und die eher draufgängerischen Erzähler munkelten, er habe noch drei der Angreifer ins Jenseits befördert. Kurzum: Man wußte eigentlich gar nichts. Nicht anders verhielt es sich mit dem Ort, den der Unglückliche mit seinem Blut getränkt haben sollte. Mal lag er vor den Toren der Stadt, mal in unwirtlicher Ferne. Aber wiederholt fiel der Name Wolfratshausen, was nicht nur Peter und Paul aufhorchen ließ.
Nun traf es beileibe nicht selten zu, daß
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