Der Wachsmann
doch zur Dult mitnehmen, was dieser schließlich auch tat. Sie steckten erst dem Jakob eine Kerze auf und schlenderten anschließend durch die langen Reihen der Buden und Stände. Die Tische der Großkaufleute, an denen die Tuchhändler ganze Ballen kostbarer Stoffe und die Kürschner edle Rauchwaren aus aller Herren Länder feilboten, waren für die Buben am wenigsten interessant. Aufregender fanden sie es schon, den Lederern bei der Arbeit zuzusehen und die Stände der Kleinkrämer zu inspizieren. Ein besonderer Spaß war es, beim Gewürzhändler die vielen offenen Säckchen und bunten Häufchen zu bestaunen und ab und zu verstohlen einen Finger einzutauchen und daran zu lutschen. Wenn es dann in der Nase kitzelte und ein gewaltiger Nieser über den Gewürzstand hinwegfegte, war es höchste Zeit, vor dem Gezeter und den Fäusten der Verkäufer Reißaus zu nehmen. Die Krönung eines Marktganges waren die Buden, an denen honigsüßes Backwerk feilgeboten wurde und der besonders ausgewiesene Platz, an dem die Gaukler menschliche Türme errichteten, Jongleure geschickt Bälle und Keulen kreisen ließen, Musikanten mit Flöten, Fidel und Rebec aufspielten und Tierbändiger ihre dressierten Gefährten tanzen ließen.
Kunz und Bruno, zwei kleine Raufbolde vom Grieß umkreisten dort die beiden Brüder eine Weile unschlüssig, bis diese im Schutze Peters ungehemmt Nasen drehten und die Zungen zeigten.
Sie näherten sich eben den Ständen der Gürtelmacher, als Perchtold den Peter heftig am Kittel zog und aufgeregt rief: »Peter! Peter! Schau da!«
»Hmm, was gibt’s?« fragte der eher beiläufig, denn im selben Augenblick fiel sein Augenmerk auf eine schlanke, weibliche Gestalt. Erst als Perchtold nicht locker ließ, wandte sich der Große leicht unwirsch dem Jungen zu.
»Was hast du denn? Warum so aufgeregt?«
»Ich hab’ ihn gesehen, da!« Perchtold deutete in eine bestimmte Richtung.
Doch so sehr Peter auch schaute, er konnte nichts Ungewöhnliches ausmachen.
»Er ist weg«, stellte der Junge enttäuscht fest.
»Wer denn, zum Teufel?«
»Der gemeine Kerl von dem Wirtshaus, du weißt schon…«
Doch Peter fixierte längst wieder die Frauengestalt, die Rosenkränze und Paternoster verächtlich links liegen ließ, dafür die Vielfalt von Kämmen und Gürteln eingehend prüfte. Birgit Pütrich, die allein zu sein schien, hielt probeweise einen zierlich bestickten Riemen vor ihre schlanke Taille. Sie wandte sich dem Licht zu, und ihr Blick fiel auf Peter, der Augen, Herz und Hirn auf sie gerichtet hatte. Ganz anders als bei dem plötzlichen Zusammentreffen unlängst vor ihrem Haus, winkte ihn die Dame diesmal lächelnd herbei und ging selber ein paar Schritte auf ihn zu.
»Was meint Ihr?« plapperte sie unbekümmert drauflos. »Soll ich diesen nehmen oder den grünen oder doch lieber einen anderen?« Sie drehte sich und schwang die Hüften, daß es beinahe einem Tanz gleichkam.
»Ihr sagt ja gar nichts.« Sie zog einen Schmollmund und stellte gleich darauf lächelnd fest: »Ah, ich weiß. Euch gefällt keiner.«
Beinahe verächtlich warf sie dem Händler den Gürtel wieder zu, ergriff rasch Peters Hand und zog ihn lachend mit sich fort.
»Kommt! Seht Euch diese da an! Ihr müßt mich beraten!« Sie begann ihr eitles Posieren von neuem.
Peter wußte nicht recht, wie ihm geschah. Er hatte noch kein Wort hervorgebracht und nickte auch jetzt nur hilflos oder preßte gerade mal ein »ja, sicher« oder »gewiß doch« heraus.
»Der rote!« entschied sie schließlich. »Ich nehm’ den roten. Er gefällt Euch doch, nicht? Packt ihn mir ein, Kaufmann!«
»Ihr seid sehr schön«, stammelte Peter schließlich, während der Händler den kostbaren Gürtel in ein billiges Stück Tuch einschlug.
»Ihr wißt mit Frauen umzugehen, Peter Barth«, hauchte die Versuchung mit einem Wimpernschlag wie Schmetterlingsflügel. Doch kaum hielt sie das Päckchen in der Hand, erklärte sie abrupt: »Ich muß jetzt geh’n. Besucht uns doch mal wieder!«
Sie drehte sich einfach um und entschwand. Aber ihr Abgang war der einer Königin, nur mit dem Unterschied, daß ihr eine Horde Burschen unflätig nachpfiff.
Peter blieb so verdutzt zurück, als hätt’ ihn der Schmied eine Weile als Amboß benützt. Was sollte das? Was spielte sie für ein kokettes Spiel mit ihm? Einmal lockte sie ihn, dann wieder… Mit keinem Wort war sie auf die Verlegenheit vom Sonntag eingegangen. Sollten am Ende die Leute recht haben, die über sie herzogen?
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