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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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seiner Seite. Gleich darauf eilten sie dem Maenhartbräu entgegen. Bekannte und Nachbarn blieben stehen und freuten sich mit ihnen, riefen Glückwünsche hinterher oder liefen gleich selber mit, um das Wiedersehen nicht zu verpassen.
    Agnes stand am Herd, als sie den Tumult auf der Gasse vernahm. Augenblicke später fiel ihr der schmerzlich vermißte Knabe um den Hals. Peter war an der Türe stehengeblieben und besah sich das rührende Bild von weitem. Zugleich hielt er damit die ärgsten Gaffer zurück. Nach einer Weile streckte Agnes wortlos die Hand aus. Peter ging auf sie zu, und mit feuchten Augen schloß sie auch ihn fest in die Arme.
    Nun gab es für die Umstehenden kein Halten mehr, und augenblicklich wurde aus einem gewöhnlichen Tag ein Festtag. Schon balgten sich erwartungsvolle Zecher um die besten Plätze in der Gaststube in der sicheren Hoffnung, daß die glückliche Mutter sogleich tüchtig auftragen ließe. Von allen Seiten bedrängten Neugierige den Buben, um auch ja alle möglichen Einzelheiten seines gefährlichen Abenteuers zu erhaschen.
    Peter hatte einige Mühe, den Perchtold beiseite zu ziehen und bei all dem Lärm und Gedränge die Ereignisse der vergangenen Tage zu erfragen. Zudem erzählte Perchtold so wild durcheinander, daß sich erst allmählich folgendes Bild ergab:
    Am Morgen nach der schrecklichen Nacht, in der Perchtold an sein sicheres Ende geglaubt hatte, waren der Kanten Brot und das Wasser nicht einfach nur hereingeschoben worden, sondern der Pockennarbige war selbst in die Kammer geschlichen. Er hatte dem Buben zu verstehen gegeben, daß der andere ihm nach dem Leben trachte, daß er selbst ihn aber zu schützen gedenke. Freilich erwarte er sich einen Vorteil davon.
    »Du wirst mir ein hübsches Sümmchen einbringen«, hatte er in Vorfreude auf seinen plötzlichen Reichtum geschwelgt und zugleich finster gedroht: »Heute abend will ich dich von hier fortbringen, aber wehe, du versuchst zu entwischen!« Dabei hatte er mit dem Zeigefinger von links nach rechts über den Hals gestrichen und dazu genüßlich mit der Zunge geschnalzt.
    Aber Perchtold war nicht begierig gewesen, auf die fragwürdige Hilfe des Mordbuben zu vertrauen. Er hatte sich abgemüht, ein paar Säcke aufzuschichten, und sich im Schutz der abendlichen Dämmerung vorsichtig durch die Luke gleiten lassen, bis sein Fuß eine Schaufel des Rades ertastet hatte. Dann war alles sehr schnell gegangen. Er hatte sich fallen lassen, war zwischen zwei Schaufeln des Mühlrads aufgeschlagen und hatte hektisch versucht, sich an dem glitschigen Holz festzuhalten. Kaum war ihm dies einigermaßen geglückt, als er bestürzt festgestellt hatte, daß er sich in falscher Richtung aufs Wasser zubewegte. Es war ein unterschlächtiges Wasserrad, das sich rückwärts drehte. Und schon war er unters Wasser gedrückt worden. Instinktiv hatte er sich mit allen vieren festgekrallt wie eine Spinne vor dem Ersaufen. Bange Augenblicke später hatte ihn das Rad wieder nach oben getragen, worauf er sich prustend und keuchend dem Bach überlassen hatte. Er war erst ein gutes Stück fortgerissen worden, ehe er ein Büschel Ufergras fassen und sich daran hochziehen konnte. Nun hatte er zwar die Freiheit erlangt, aber keine Ahnung, wohin er sich geflüchtet hatte. Er war blindlings weitergerannt, bis er schließlich erschöpft unter einem großen Baum eingeschlafen war. Den ganzen folgenden Tag über hatte er sich im dichten Ufergestrüpp der Isar versteckt gehalten und sich erst am Morgen dieses glückseligen Tages wieder in die Stadt getraut.
    »Wir sollten so rasch wie möglich die Mühle ausfindig machen, um den Halunken auf die Spur zu kommen«, schlug Peter jetzt vor, aber weder verspürte der Junge die geringste Lust dazu, noch schien die Agnes auch nur irgendwie bereit zu sein, ihn so schnell wieder von ihrer Seite zu lassen.
    Peter fiel irgendwann ein, daß er Perchtold noch gar nicht gefragt hatte, wo er denn das Siegel nun tatsächlich versteckt hatte. Aber wo war der Junge? Fast in Panik stürmte Peter in den Hof, und sah ihn, wie er sich mit Heinerl lebhaft um einen kleinen Lederbeutel zankte.
    »Laß endlich los! Es gehört mir, und ich will es nicht tauschen«, schimpfte Perchtold.
    »Ich hab’ es aber gefunden«, protestierte der Jüngere.
    Peter ging dazwischen und bat um den Beutel. Er lockerte das Band, stülpte das Säckchen um, und in seiner Hand lag das Siegel.
    »Wie in aller Welt… Heinerl, du Schlingel!« Peter ließ sich

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