Der Wachsmann
Hause.
Peter wartete einen geeigneten Augenblick ab, ging dann auf die Agnes zu und faßte sie bei den Schultern. Lange schauten sie sich stumm in die Augen, als versuche ein jeder, in den Gedanken des anderen zu lesen.
»Gib mir noch etwas Zeit«, bat Agnes schließlich, »bitte!«
»Ist gut«, erwiderte Peter verständig, hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn und verließ mit Paul zusammen die Stube.
Mathes und Alois waren spät dran. Wacker stützten sie sich gegenseitig, während sie dem Kaltenbachtor zuwankten. Der Wächter war gerade dabei, den schweren Riegel vorzulegen.
»Wenn du nicht gleich aufmachst«, lallte der Mathes, »dann schiff’ ich dein Tor über den Haufen.«
Weniger wegen dieser feuchten Drohung, sondern weil er die beiden gut kannte, ließ sich der Torhüter erweichen, die säumigen Zecher noch nach draußen schlüpfen zu lassen. Mathes war es plötzlich so übel, daß er noch auf der Brücke in den Bach reiherte und sich danach erst ein wenig hinsetzen mußte.
»Nun komm schon!« drängte Alois. »Es ist gleich stockfinster.«
»Was soll die unfromme Hast?« maulte der Mathes. »Bin ich Jud oder der Seelenfänger? Den Weg find’ ich doch allemal noch blind.«
Mühsam rappelte er sich auf.
Die Dunkelheit nahm rasch zu, und der Mond war noch nicht aufgestiegen.
Kaum hatten sie die Laimbrücke überschritten, als Mathes einem anderen Drang nachgeben mußte. Er wankte näher dem Bach zu und stolperte dabei über ein paar Füße.
»Jetzt liegen die Kerle schon hier draußen herum«, schimpfte er. »Zieh deine Stelzen ein, wenn du sie noch länger gebrauchen willst!«
Er schlug in aller Ruhe sein Wasser ab und wandte sich wieder der Straße zu. Da lag der Bursche noch immer seelenruhig im Weg.
»Du hörst wohl schlecht?« raunzte Mathes und versetzte den Beinen des Schläfers einen Tritt. Doch der rührte sich nicht. Da beugte er sich streitlustig zu ihm hinab, um ihn zu schütteln, zog aber jäh die Hand wieder zurück.
»Iiih!« rief er angewidert und wischte sich die Finger im Gras ab. »Der Kerl rotzt ja ganz erbärmlich.«
Auf den Schrei hin war Alois näher gekommen und fragte lachend: »Siehst du schon wieder Geister?«
Aber dem Mathes war plötzlich nicht mehr zum Lachen zumute. Durch den Nebel seines Rausches hindurch ahnte er Schlimmes.
»Laß uns verschwinden! Schnell!«
»Was hast du bloß?« brummte Alois verständnislos.
»Ich glaube, der muckst nicht mehr. Komm weg von hier!«
»Unsinn! Du bist nur voll wie ein Faß.«
Zum Beweis beugte sich Alois hinab und rührte den Fremden an.
»He da, Freund! Wach auf!« Da lief ihm etwas Warmes über die Finger. »Pest und Hölle!« fluchte er. »Das ist Blut!«
Mathes war schon zur Straße zurückgeeilt und lief, so schnell ihn seine schweren Beine trugen. Alois stolperte keuchend hinterdrein. Erst bei den Hütten der Flößer hielten sie an. Sie kamen überein, den Hiltpurger herauszuhauen. Der war schon schlaftrunken und murrte zuerst gewaltig, ließ aber ein paar Männer wecken und Fackeln bringen. Beherzt gingen sie zurück. Und als sie den Ruhenden ins flackernde Licht tauchten, erstarrten sie vor einem Bild des Grauens.
Aus einer Wunde nahe dem Herzen schien noch immer frisches Blut zu tröpfeln. Über die Backen floß träge eine schleimig-gallertige Masse. Und dort, wo noch vor kurzem Leonharts Augen unruhig geglänzt hatten, starrten ihnen nur mehr zwei dunkle, blutige Höhlen entgegen.
17. Kapitel
Der Türmer von St. Peter war nicht zu beneiden in dieser Nacht. Denn nahezu unentwegt wurde an irgendeiner Stelle in der Stadt eine Fackel entzündet oder ein glimmendes Herdfeuer neu entfacht, und oft ließ sich nur schwer entscheiden, ob der Lichtschein bloß einem Suchenden als Wegleuchte diente oder greller Vorbote eines verheerenden Brandes war. Die schreckliche Kunde fraß sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt.
Zunächst hatte der Torhüter an einen dummen Streich der betrunkenen Flößer gedacht, und erst als Ulrich Hiltpurger, der allgemein als vertrauenswürdig galt, höchstpersönlich vorgesprochen hatte, hatte sich der Wächter bequemt, nach dem Stadtrichter schicken zu lassen. Auf dessen ausdrücklichen Befehl hin war die Pforte dann zu nächtlicher Stunde nochmals geöffnet worden. Jetzt drängelten sich die Schaulustigen am Tor wie sonst nur Händler und Käufer zur besten Marktzeit, und die Knechte des Richters hatten alle Hände voll zu tun, der aufgewühlten Menge Einhalt zu gebieten. Wer
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