Der Wachsmann
Euch dafür vor dem geistlichen Gericht verantworten müssen. Ihr habt Euch verständlicherweise davor gefürchtet, und dies erklärt Euer hartnäckiges Leugnen. Doch Eure Furcht rechtfertigt in keiner Weise den üblen Versuch, den Juden die Schuld zuzuschieben. Ihr seid zwar kein Mörder mit der Klinge in der Hand, wohl aber ein Mörder im Geiste und mit dem Worte. Und wäre Euere böse Saat aufgegangen, dann hättet Ihr hundertfachen Tod bewirkt.«
Heinrich Pütrich starrte Peter nur feindselig an, erwiderte aber nichts.
Peter wandte sich daraufhin wieder dem Bruder zu. »Was nun Euch betrifft, so habt Ihr Euch nicht nur der Tatsache, daß der Wachsmann auf Euren Namen getauft war, geschickt bedient, sondern darüber hinaus auch Euer Verwirrspiel mit den Psalmen fortgesetzt und Euch die umgehende Furcht vor Teufeln und Zauberei zunutze gemacht. Die Stelle mit den Augen kam Euch dabei sehr gelegen. Ihr wart es, der die Nägel aus den Lenden zog und in den Kopf stieß, damit es so aussah, als sollte das Schriftwort erfüllt werden.«
Ludwig Pütrich schnaubte verächtlich, während Peter fortfuhr: »Es ist sogar noch schlimmer und Euer Plan noch teuflischer, als wir erahnen konnten. Daß Ihr auch den Schuster ermordetet, steht für mich außer Frage.«
»Wie denn?« blaffte der Beschuldigte. »Wo ich schon bei Sonnenaufgang die Stadt verließ, der Füss aber erst während der Messe getötet wurde.«
»Das wolltet Ihr uns glauben machen«, entgegnete Peter ruhig. »Während der Nacht hatte es noch nicht geregnet, und die Erde unter der Leiche sowie die Kleidung am Rücken des Toten waren völlig trocken. Der Regenguß setzte erst kurz vor der Frühmesse ein, so daß keiner der Kirchgänger noch vor dem Gottesdienst eines der Gräber aufsuchte. Nur deshalb wurde der tote Schuster so spät entdeckt, obwohl Ihr ihn wahrscheinlich schon beim Heimgang vom Wirtshaus oder kurz danach getötet und auf dem Friedhof zur Schau gestellt habt.«
»Ausgeburt Eurer Phantasie!« zischte der jüngere Pütrich. »Wozu sollte ich dies getan haben? Hatte ich etwa Grund, auf den erbärmlichen Schuhflicker eifersüchtig zu sein? Das ist lächerlich!«
»Richtig«, stimmte Peter bereitwillig zu, »und es war auch nicht Euer Motiv. Erst war Euch der Schuster vielleicht nur lästig, und Ihr hieltet es für eine gute Gelegenheit, durch eine Ahle als Werkzeug bei Leonharts Ermordung den Verdacht auch auf ihn zu lenken. Aber dann wurde er Euch gefährlich, nicht nur durch seine ungezügelte Sauferei, seine Streitsucht und sein hemmungsloses Geplapper nach Rudolfs Tod, sondern vor allem durch sein Wissen. Hat er Euch erpreßt?«
»Wie? Wieso… ich meine womit?« Ludwig Pütrich schien verblüfft.
»Nun, vielleicht hatte er Gelegenheit Euch und Heinrich Rabenecker zu belauschen, wußte daher von Eurem Vorhaben und hat gedroht, davon Gebrauch zu machen. Schließlich war er stets in Geldnöten.«
»Blödsinn!« fauchte Heinrich Rabenecker, der lange Zeit schweigend zugehört hatte. »Es gab nichts zu belauschen.«
»Einerlei«, winkte Peter ab und sagte dem jüngeren Pütrich auf den Kopf zu: »Ihr hattet einen viel triftigeren Grund, ihn zu töten.«
»Ah!« Pütrich zog lauernd die Brauen hoch.
»Der ehrenwerte Herr Rabenecker hat sich nach des Schusters Tod des kleinen Knaben angenommen. Das erscheint nicht nur lobenswert, sondern trifft auch besser den Kern und stellt die Verhältnisse richtig. Ich verstehe nicht viel von kleinen Kindern«, räumte Peter ein, »aber dieses muntere Bürschlein wollte mir einfach nicht als Ableger des grimmigen Schusters in den Kopf. Zudem ist es strohblond, was weder der Schuster ist noch seine Frau angeblich war. Auch schien der Füss wenig an seinem Knaben interessiert und dieser wiederum mehr Herrn Rabenecker zugeneigt zu sein. Auffällig war zudem, daß der Schuster, als das Knäblein erkrankt war, den Stadtarzt Tömlinger bemühte und ich mich fragte, wie er sich dies leisten konnte. Ein Bader oder Quacksalber hätte seiner Börse eher entsprochen. Seltsam, sagte ich mir also. Aber eine kleine Anfrage bei dem für Reichertshausen zuständigen Pfarrer und ein Blick in das Kirchenbuch brachten zutage, daß Birgit Pütrich im Spätsommer letzten Jahres einem Knaben das Leben schenkte, als dessen Vater zwar Heinrich Pütrich eingetragen, es in Wahrheit aber nicht war, so sehr er sich’s auch gewünscht haben mag. Es war die Frucht des Ehebruchs, und dies war auch der wahre Grund für die
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