Der Wachsmann
Besuch Peters bat, und fortan nahm sein Leben erneut einen anderen Verlauf.
Der Pate teilte ihm mit, daß der Vater drei Wochen zuvor verstorben war. Die Ärzte hätten den Schlagfluß und eine corruptio der Säfte angeschuldigt. Er selber glaube eher, daß seinen Bruder ein gebrochenes Herz und die Aderlässe der Quacksalber dahingerafft hätten. Dann eröffnete er seinem Schützling das Versprechen seines Vaters, der ihn als rechtmäßigen Sohn in die Familie aufgenommen hatte und übergab ihm eine Urkunde mit dem Siegel des Münchner Rates. Peter las einmal, zweimal, starrte ungläubig auf das Siegel wie der Zweifler Thomas auf die Wunden des Herrn und las ein drittes Mal. Er war ein Barth, legitimer Sohn des ehrenwerten Kaufmanns Heinrich Barth, glaubhaft bezeugt und rechtmäßig verbrieft. Peter war, nachdem er das Unglaubliche langsam begriffen hatte, so fassungslos vor Freude, daß er im ersten Augenblick darüber fast den Tod des Vaters vergaß. Als die Aufregung langsam dem Schmerz gewichen war, fragte er sich auch, was den Vater dazu bewogen hatte, ihm die Tatsache bis zuletzt zu verheimlichen. Peter würde es nie mehr erfahren. Auch der Oheim wußte hierauf keine Antwort, riet ihm jedoch, sich nun zuerst um sein Erbe zu kümmern. So hatte er damals sein Heil in der Stadt gesucht.
Peter schmunzelte, als er jetzt daran dachte, daß er eigentlich Sohn eines angesehenen Kaufmanns war. Niemandem wäre dies in den vergangenen Monaten in den Sinn gekommen und schon gar nicht während der letzten Tage, als auch er in den Schimpf auf die Pfeffersäcke eingestimmt hatte. Dies hatte freilich einen tieferen Grund. Doch Peter verdrängte dies, wollte sich nicht damit beschäftigen. Zumindest nicht jetzt, als die Ortschaft Hohenschäftlarn in Sicht kam. Zum Kloster hätte er den steilen Weg von der Anhöhe hinabfahren müssen. Auch dies mußte bis zur Rückkehr warten.
Perchtold rekelte sich, schaute schlaftrunken kurz zu Peter auf und vergrub sich wieder in dessen Schoß und sicheren Arm. Plötzlich riß eine helle Stimme, die aus der Gegend seines Bauches zu kommen schien, Peter schlagartig aus seinen Träumen:
»Wirst du jetzt unser Vater sein?«
»Wie… was?« Peter hätte vor Schreck fast die Zügel fallen lassen. »Wie kommst du denn darauf?«
»Na«, Perchtold richtete sich jetzt auf und grinste das Ziel seiner unvermittelten Attacke treuherzig an, »wo du doch die Mutter lieb hast und sie dich in die Kammer mitnimmt, und der Heinerl hat dich lieb und ich…«
»Hoho, langsam!« Peter wurde noch verwirrter, als durch seinen Ausruf die beiden Pferde ihren flotten Trab abbremsten, wo er doch nur Perchtolds gefährlichem Plappern Einhalt gebieten wollte. Er hatte sich dies noch nie so recht überlegt. Herr im Himmel! War er doch selbst gerade dabei, selbständig zu werden und sich in der aufregenden Welt der Stadt zu behaupten. Und jetzt sollte er plötzlich Vater sein, dazu gleich von zweien. Er mochte sie ja auch, die beiden Racker. Aber gleich Vater…
Bald hatten sie Icking erreicht, und je näher sie Wolfratshausen kamen, um so unwohler fühlte sich Peter. Wie würde er Lies antreffen und wie sollte er ihr die schlimme Nachricht beibringen? Er hatte bislang noch nie eine Todesbotschaft zu überbringen gehabt. Wie konnte er die Witwe trösten? Würde er die rechten Worte finden? Peter spürte, wie sich ein mächtiger Kloß in seiner Kehle breitmachte. Er hatte längst Perchtold die Zügel überlassen, um ihn ein wenig zu beschäftigen.
Was war sie wohl für eine Frau? Jakob hatte nie viel von ihr erzählt. Aber der Art nach, wie er von ihr gesprochen und wie es ihn jedesmal zurückgedrängt hatte, mußte er sehr stolz auf sie gewesen sein. War sie hübsch? Zierlich? Gar zerbrechlich… Du lieber Gott! Was mußte er tun, wenn sie nun vor Schock und Verzweiflung zusammenbrach? Und die Kinder…
Peter bereute es, daß er sich zu dieser Fahrt hatte drängen lassen. Nein, er selbst hatte sich anerboten. Was war er doch für ein verdammter Narr! Warum mußte er sich in Dinge mischen, die ihn nichts angingen? War er vielleicht dem Jakob etwas schuldig? Hatte er mit ihm mehr zu schaffen gehabt, häufiger gezecht oder gar Geheimnisse geteilt als andere? – Oder fürchtete er sich bloß vor der Begegnung mit Lies?
Aber jetzt hatte er die unangenehme Fahrt schließlich auf sich genommen, und er würde sie auch ausführen. Er hatte ja auch gar keine Wahl. Oder sollte er etwa umkehren?
Gemächlich, aber stetig
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