Der Wachsmann
nachgelaufen, sondern diese an ihn herangetreten war, und er nahm den Verlust seiner Börse als gerechte Strafe für seine Leichtgläubigkeit an.
Peter war froh, daß sie sich an diesem Abend bald zur Ruhe begeben konnten. Er fühlte sich geborgen in diesen Mauern und suchte ihren Frieden in sich aufzunehmen. Doch während Perchtold sogleich entschlummerte, lag Peter noch lange wach und dachte über vieles nach.
In München dachte ein fröhlicher und sturzbetrunkener Paul keineswegs ans Schlafen. Da Peter ihm schon den zweiten Abend fehlte, mußte er sich wohl oder übel andere Gesellschaft suchen. Er verband es mit Nachforschungen, für die er besser Peters Abwesenheit nützte, führten sie ihn doch ins Henkerhaus nahe dem Sendlinger Tor, wo sich auch der Scholderplatz fürs Glücksspiel und die städtischen Lustdirnen befanden. Drei Dinge beschäftigten Paul: Er hatte Fragen an den Hacher persönlich zu ein paar Eigentümlichkeiten seines Berufs. Er wollte prüfen, ob die Würfel noch so gut rollten wie beim letzten Mal. Und er mußte sich vergewissern, ob die gemeinen Töchterlein ihr Auskommen hatten und notfalls sein Scherflein dazu beitragen.
Zufrieden mit sich und der Welt machte er sich zu später Stunde wieder auf den Heimweg. Er hatte zwar ein paar Pfennige verloren, dafür aber das beruhigende Gefühl, daß er zwei unerfahrenen Weibspersonen, die eben erst von auswärts ins Frauenhaus eingerückt waren, die Eingewöhnung in der Stadt ganz erheblich erleichtert hatte.
Summend und pfeifend schlingerte er gefährlich nahe am Angerbach entlang. Er hatte keine Leuchte dabei, wie vom Rat zur Nachtzeit vorgeschrieben. Doch Paul war der Ansicht, daß die Mondsichel und der Schutzengel der Betrunkenen ausreichend seien, mit deren Hilfe und unterstützt von den Hauswänden, die heute merkwürdig schief standen, er nun das Dultgäßchen hinauftappte. An der Einmündung des Krottentals in die Sendlinger Gasse stieß ihn urplötzlich ein dunkler Schatten an und rannte ihn beinahe über den Haufen.
»Himmelherrgottsakrament! Haschu keine Augen?«
»Gelobt sei Jesus Christus.«
»Auch noch f-frech werd’n. Dir – hicks – geb’ ich’s gleich…«
»Halt ein, Bruder! Es tut mir leid.«
Paul glaubte erst, den Pütrichkaplan vor sich zu haben, der hier irgendwo seine Behausung hatte. Doch dazu war die unbekannte Person viel zu nüchtern.
»Ich bin Bruder Servatius vom Orden des heiligen Franz.«
»Schoscho, ein Barfüschler«, lallte Paul.
»Was tuschu so schpät noch?« forschte er neugierig seinen Begleiter aus.
»Die Menschen bedürfen zu jeder Stunde des geistlichen Beistands«, gab Bruder Servatius freundlich Auskunft, »denn den Teufel gilt es immer und überall zu bekämpfen, ob in Gestalt des Mittagdämons oder zur Nachtzeit, wenn die Ungeheuer aus ihren Löchern kriechen und auf Seelenfang gehen.«
Gemeinsam gingen sie weiter. Am Marktplatz huschten ein paar Schatten unter den Lauben vorbei. Bettler rollten sich in ihre Lumpen und Bauernburschen, die ihre Tageseinnahme vertrunken und es versäumt hatten, vor dem Schließen der Tore die Stadt zu verlassen, schnarchten schon auf oder unter den Verkaufsständen einem unseligen Erwachen am nächsten Morgen entgegen.
An der Nordostecke des Marktplatzes angekommen, lud Paul gutgelaunt den Bruder noch auf einen Trunk ein, doch der Mönch empfahl sich mit seinem Segen für Pauls weiteren Heimweg. Paul machte seiner Enttäuschung erst einmal mit einem gewaltigen Rülpser Luft. Er fühlte sich in seiner Überzeugung bestätigt, daß den Pfaffen allesamt nicht zu trauen war und wankte durchs Talburgtor dem Maenhartbräu zu.
9. Kapitel
Die Nacht war für Peter eher Qual als Erquickung. Unruhig warf er sich auf seinem harten Lager hin und her und träumte von einem riesigen gehörnten Drachen, der mit seinem brodelnden Geifer auch giftige Zahlen ausspie, die sich ihrerseits sofort in gräßliche Ungeheuer verwandelten und fauchend und schnappend auf ihn zukrochen. Er rannte und rannte, was seine Beine hergaben, doch es schien so, als käme er keinen Fingerbreit von der Stelle. Als eben die ihm zunächst gekommenen Monster sich in seinen Beinen zu verbeißen drohten, erschienen wie aus dem Nichts zwei Retter, die ihn emporhoben und im Fluge über das scheußliche Gewürm und wimmelnde Getier hinwegtrugen. Es mußten mächtige Engel sein, die sich seiner annahmen. Sie trugen strahlend weiße Kutten, doch ihre Gesichter waren unter Kapuzen verbogen. Peter
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