Der Waechter
sterben können, Benedict! Du bist der, der geblendet ist, nicht ich!»
Konrad zieht sich seinen Mantel über, schnappt sich seine Schultasche und verlässt das Haus.
Noch einmal blickt Jenny ins Esszimmer. Benedict sitzt mit dem Rücken zu ihr. Sie kann seine Betroffenheit spüren. Resignierend stellt er die Ellenbogen auf dem Tisch ab und fährt sich mit beiden Händen durchs Haar.
«Ich rufe alle zusammen», beschließt Ruth.
«Jenny aufwachen!» Simone rammte ihr den Ellenbogen in die Seite.
Es dauerte eine Sekunde, bis Jenny kapierte, wo sie war. Eilig hastete sie aus dem Bus. Sie musste diese Spioniererei in den Griff kriegen. Das brachte sie noch in Teufels Küche. Sie war also weiter vom Bund beschützt worden. Durch Ludwig. Und Konrad gefiel das ebenso wenig wie ihr. Wie konnte der Bund nur annehmen, dass jemand sie besser schützen konnte als er? Spätestens letzte Nacht war offensichtlich geworden, dass sie ein unschlagbares Gespann waren.
Zur ersten Stunde humpelte Stinke-Hauptmann zur Klassenzimmertür herein. Jenny vermutete, dass er auf seinen schmierigen Klamotten ausgerutscht war und sich dabei den Knöchel verstaucht hatte. Sie musste belustigt grinsen, als sie es sich bildlich vorstellte.
«Was gibt’s da zu grinsen, Krastl?», schoss er sie an.
Ihm entging aber auch wirklich nichts. Manchmal fragte sie sich, ob er auch hinten Augen hatte. Und natürlich - wie hätte es anders sein können - war er in der Stimmung für einen Test.
Es schmerzte, Auftrag hin Auftrag her, Konrad in Stefanies Nähe zu sehen. Er war nicht mehr ständig bei ihr, aber doch mehr als bei Jenny.
Nach Schulschluss konnte sie es kaum abwarten, Arthur zu sehen. Sie war so froh, dass es ihm gut ging und er den schrecklichen Angriff überstanden hatte. Vor Cynthia hatte sie ein bisschen Angst. Sie musste lernen das Gedankenlesen von ihr abzuwehren. Jenny hatte begriffen, dass sie ihre Fähigkeiten auf Dauer nicht bei sich behalten konnte. Jederzeit konnte es sie in ausweglose Situation verschlagen. Selbst wenn es ihr gelang das Fragment im Zaum zu halten, waren die Verlockungen ihrer Fähigkeiten zu groß. Sie könnte dazu verführt werden, in die Zukunft zu gelangen, um die nächste Mathearbeit anzuschauen. Oder die Lottozahlen zu knacken, damit ihre Mutter sich nicht mehr um die Finanzen sorgen musste. Mit jedem Versuch würde sie ihre Energie einsetzen und sich zur Zielscheibe für die Schattenträger machen. Sie musste lernen ihre Kräfte zu kontrollieren und dafür brauchte sie den Bund. Bis zur Ausreifung. Danach konnte sie sich immer noch gegen ihn entscheiden. Niemand konnte sie zwingen bei einem Verein mitzumischen, der unter dem Deckmantel höherer Ziele, die Gefühle des Einzelnen missachtete. Konrad stand vor dem Eingang und kam Jenny unsicher entgegen.
«Hi!»
«Hi», sagte sie leise und zögerte weiterzugehen.
Einen Moment blieb sie vor ihm stehen. Wie schön wäre es, wenn sie ihn hier und jetzt umarmen und küssen könnte. Wenn sie offiziell ein Paar wären. Schließlich ging sie weiter und Konrad folgte ihr.
«Du gehst nach Hause?», fragte sie.
Er nickte stumm.
«Und wer schaut nach ihr ?“ Jenny wollte Stefanies Namen nicht offen aussprechen, falls jemand sie hören konnte.
«Ludwig», antwortete er. «Ich werde im Haus gebraucht.»
Gemeinsam verließen sie den Schulhof, gingen außerhalb des Schulgeländes entlang und bogen schließlich ins Wohngebiet ein. Konrad ging neben Jenny und so glücklich seine Nähe sie einerseits machte, so schrecklich schmerzte es sie auch. Es gab so vieles, das sie von ihm wissen wollte. Wer er eigentlich war, woher er kam, was mit seiner Familie geschehen war, warum Benedict ihn für unfähig hielt, sie zu beschützen, wie es ihm nach der Entdeckung seiner Kräfte gegangen war und wann sie endlich zusammen sein konnten. Auf einmal spürte sie Konrads Hand auf ihrer Hüfte liegen. Vorsichtig zog er sie im Gehen näher zu sich an die Seite. Sofort wurde es Jenny warm. Ihr Herz schlug unruhig und sie spürte, wie ihre Energie aufgeregt nach außen drängte. Konrad hatte diese Wirkung auf sie und sie hasste sich dafür. Sie war so leicht zu beeindrucken. Im Grunde konnte er mit ihr machen, was er wollte, sie durfte es ihn nur nicht merken lassen. Noch etwas, das sie lernen musste zu kontrollieren: dieses glückselige nach außen Puffens ihres Energiekörpers. Sie waren nur wenige Meter vom Haus des Bundes entfernt, als Konrad stehen blieb und Jenny
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