Der Waechter
inzwischen so dünn wie ein Wollfaden. Erst unter seinen Schuhsohlen verbreiterte er sich zu der Form eines Tablettes.
«Ah … ah … ich glaub … ich glaub … nein, doch nicht.»
Für einen Moment dachte sie, abzuheben. Aber es hatte nur an den Füßen gekribbelt und ein leichtes Taubheitsgefühl darum gestrichen.
«Schau nicht so verkrampft!», wies Konrad sie an.
Langsam kam er zu ihr herunter. Der hellblaue Strahl unter ihm zog sich wie ein ausziehbares Metermaß, in ihn zurück.
«Schließ die Augen und spüre es. Ich weiß, dass es anstrengend ist, aber versuche es.»
Erst jetzt merkte Jenny, dass sie mit aufgerissenen Augen auf ihre Füße starrte und ihre Zunge zwischen Unterlippe und Zahnreihe gedrückt hatte. Es musste ziemlich dämlich aussehen.
«Aber es hilft mir, wenn ich drauf gucke. Auf mein Licht, verstehst du? Ich sehe dann gleich, ob und wie es sich verändert.»
«Schon klar, aber versuch es einfach mal anders. Versuche die Veränderung zu fühlen. Spüre es! Es ist ganz toll.»
Konrad stellte sich vor Jenny und nahm ihre Hand, als wollte er sie führen. Wie versprochen brachte er ihr das Fliegen bei.
Jenny betete ihn an. Dennoch blieb sie dabei: Konrad war ein seltsamer Typ. Er konnte so sanft und liebevoll sein wie im Moment. Dann wieder strotzte er vor kaltem und berechnendem Verstand und Sachlichkeit. Sich selbst hingegen fand sie immer gleich. Sie war laut, meist vorlaut, ärgerte sich immer über die gleichen Dinge, fand immer das Gleiche toll, wollte alles wissen, über alles sprechen und man wusste genau womit man sie treffen konnte. Dann ging sie hoch wie eine Rakete, tobte und wenn sie wieder runterkam, war mit einem einzigen, netten Wort alles vergeben und vergessen. Ein ganz gleichmäßiger Ablauf: Einleitung, Hauptteil, Höhepunkt und Schluss, immer. Konrad aber war ein ewiges Rätsel. Sanft wie ein Kätzchen, beschützerisch wie ein Bruder, stürmisch wie ein Orkan. Wurde er aber durch etwas getroffen, machte er zu wie eine Ventildichtung und ließ sich schwerer wieder knacken als ein Schildkrötenpanzer.
Jenny tat, was Konrad sagte, und schloss die Augen. Hinter ihren Augenlidern waberten die Farben ihrer Energie wild umher. Sie spürte, wie ihre Hände sich erhitzten. Auch Konrad merkte es, denn er ließ ihre Handfläche los und hielt sie locker an den Fingern weiter fest. Jennys Energie floss warm durch ihren Köper und sie baute den Druck in ihrem Bauch auf, den sie benötigte, um die Energie in die Beine umzuleiten. Dann löste sie den Hitzeball hinter dem Bauchnabel nach unten hin auf. Warm floss ihr ausgedehntes Fragment in die Beine und schließlich in die Füße. Dort kitzelte es und ein Taubheitsgefühl breitete sich unter den Sohlen aus. Jenny versuchte die Energie unter den Füßen wieder zusammenzuballen und nach unten hin zu strecken, damit sie abhob.
Ludwig schaut sie mit einem anstößigen Grinsen an. In der einen Hand hält er sein Schwert.
«Na Konny, wie findest du sie?», fragt er sie.
Jenny schaut an sich herab. Sie trägt Konrads Schuhe, seine Hosen, hält sein Schwert in seiner Hand.
«Also ich find sie zum Anbeißen. Was meinst du, hab ich Chancen bei ihr?» Ludwig lacht schallend, dann zuckt er zusammen und zieht sein Schwert quer vor die Brust.
Konrads Schwert knallt senkrecht auf seins. In Ludwigs Gesicht breitet sich ein spöttisches Grinsen aus.
«Also ich schätze, ich werd die nächste Gelegenheit nutzen und es bei ihr versuchen. Oder was denkst du, Konny?»
Wieder wehrt Ludwig einen Schlag von Konrads Schwert ab, amüsiert sich königlich. «Ein Glück, dass ich nicht ihr Wächter bin. Ich meine, wegen der Gewissenskonflikte, du verstehst?»
Jenny wird wütend, sehr wütend. Sie spürt, wie die Energie sie durchströmt. Aber sie ist stärker und brennender, als sie es gewohnt ist, vertraut und doch fremd, Konrads Energie.
«Ich mag ihren Hintern», sagt Ludwig, «und nicht nur den. Stell dir nur mal vor: die Auserwählte in meiner Sammlung!»
Jenny platzt auf, eine hellblaue Fragmentflut explodiert nach vorn und reißt Ludwig von den Füßen. Sein Lachen schwindet ruckartig. Das Schwert gleitet ihm aus der Hand. Nur leicht von seiner eigenen Energie abgebremst schlägt er gegen die Wand, rutscht mit dem Rücken daran hinunter und kommt auf dem Boden zum Sitzen. Auf seiner Nase liegt die Spitze von Konrads Schwert. Schielend schaut er darauf.
«Hey Konny, ich mach doch nur Spaß. Gib doch einfach zu, dass du selbst auf sie
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