Der Waechter
ihr und hielt sie am Arm.
«Was ist mit dir, Süße?»
Benedict stand inzwischen zu Jennys Rechten, beugte sich nach unten, suchte den Augenkontakt zu ihr. «Alles klar?»
«Ich bin so eine dumme Kuh!», sagte sie schließlich und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
Benedict und Konrad sahen sie erwartungsvoll an.
«Warum ist mir das nicht früher eingefallen? Der Luftsprung! Der vorhin, als du abgehoben bist», sagte sie zu Konrad, «ich hab ihn schon mal gesehen. Bei dem Dunklen in der Gartenanlage, der die Frau überfallen hat.»
«Ja und? So ziemlich alle Seelenträger können das», sagte Benedict.
«Ja, aber das mein ich nicht. Ich hatte ihn schon total vergessen. Den Sauger! Bisher sind wir doch immer von einem Assugo ausgegangen. Arthur wurde von dem überfallen, den ich in der Vision um Justin gesehen habe. Aber der in der Gartenanlage war ein anderer. Wenn ich genauer darüber nachdenke: Er hatte ein ganz anderes Licht und seine Statur war auch viel breiter. Ich konnte ihn zwar genauso wenig erkennen, weil ich als Fragment unterwegs war, und sein Licht nicht eindämmen konnte. Aber das war ein ganz anderes.» Es sprudelte geradezu aus ihr heraus.
«Ja», sagte Benedict, «die Geschichte in der Gartenanlage haben wir etwas vernachlässigt. Es war ja alles gut gegangen. Aber es ist auch nicht von großer Bedeutung. Sauger gibt es immer, nur zu mächtig dürfen sie nicht werden.»
«Und was machen wir jetzt?», fragte Jenny.
«Weiter wie bisher», antwortete Benedict. «Der Mächtigere ist der, der sich an Arthur rangemacht hat. Der ist es, um den wir uns kümmern müssen.»
«Woher weißt du das so genau?», fragte Jenny.
«Ganz einfach: Er hat sich die schwerere Beute ausgesucht. Justin ist ein Seelenträger, Arthur einer der mächtigsten Weißen. Die Frau im Park allerdings war nur eine einfach Beseelte. Mit ihr hätte sich der Mächtige gar nicht erst abgegeben.»
Das leuchtete Jenny ein. Genau so dachte ein Animus.
23. Kapitel
Am Wochenende fand ein Handballturnier statt, dem Jenny entgegenfieberte. Nicht nur um den Anschein der Normalität zu wahren: Handball war wie ein guter Freund, der sie noch immer mit ihrem alten Leben verband.
Es war ein wunderschöner Tag. Nach dem langen Winter zeigte sich das erste Mal die Sonne mit Temperaturen um die fünfzehn Grad. Ihre Strahlen fielen zu beiden Seiten in die Turnhalle. Konrad befand sich unter den Zuschauern. Er saß direkt neben dem Aufgang hinter der Abgrenzung zum Spielfeld. So konnte er blitzschnell bei Jenny unten oder auch in der Vorhalle sein. Es war alles genau durchdacht. Eva war mit Nina gekommen und saß auf der Tribüne, die Konrad gegenüberlag. Auch Eva hatte sich einen Platz gewählt, der ihr die uneingeschränkte Flucht nach vorn ermöglichte. Sicher hielten sich noch weitere Bundmitglieder um die Halle auf. Der Bund bewachte Jenny wie ein Rudel Wölfe seinen Nachwuchs.
Handball zu spielen war an diesem Tag für Jenny härter denn je. Ihre Kondition war zwar wesentlich besser, aber es fiel ihr schwer, ihre Energien zurückzuhalten. Es war ein anstrengender Balanceakt im Sturm den Ball aufs Tor zu werfen, ohne ihn mit einer unsichtbaren Stoßwelle nach vorn zu jagen. Ebenso verhielt es sich mit dem Laufen, das Jenny problemlos energetisch hätte beschleunigen können. In Momenten, in denen Jenny im Ballbesitz war und ein Stoß Adrenalin ihren Körper antrieb, konnte sie sich kaum mehr kontrollieren. Es endete damit, dass sie den Ball so wenig wie möglich annahm, einige Kontermöglichkeiten ignorierte und zur Verärgerung aller besonders zurückhaltend mit den Tormöglichkeiten umging. Es war frustrierend. Sobald für Jenny das letzte Spiel gespielt war, duschte sie sich und brach auf zum Haus des Weißen Bundes. Die Halle war gerammelt voll, während draußen das Sportgelände wie ausgestorben dalag. Hinter Jenny ging in einigem Abstand Eva. Sie war mindestens ebenso aufmerksam wie Konrad. Der verschwand einige Meter vor Jenny immer wieder zwischen den Autos am Gehwegrand oder auf der gegenüberliegenden Seite zwischen den Büschen am Waldrand und kehrte dann wieder zurück. Jenny hätte ohne Weiteres einen fremden Animus in ihrer Nähe aufspüren können. Dazu brauchte sie nur ihre Seelenenergie zu aktivieren. Aber das war genau das, was sie nicht tun durfte. Für die Dunklen musste an ihren Fähigkeiten Zweifel bleiben, bis sie vollständig ausgereift war. Zweifel daran, dass sie die Auserwählte war.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher