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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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warten?“
    Die letzte Frage hatte Pawel an den Oberst gerichtet. Der Oberst nickte mit seinem mächtigen Haupt und sagte:
    „Selbstverständlich wartet es so lange, wie Sie wollen, denken Sie etwa, dass mir das nicht klar ist?“
    Nachdem er sich verabschiedet hatte, folgte Dobrynin Iwaschtschukin. Sie stapften über einen Weg im flachen Schnee und kamen auf eine weite Lichtung, die gleich hinter der Militärstadt begann, wo bereits an die fünfzehn Soldaten aus Leibeskräften arbeiteten, um den Schnee vor einer riesigen, schmutziggrünen Flugmaschine mit einem großen roten Stern auf der Seite einzuebnen.
    Zuerst warf Dobrynin seinen Reisesack in die geöffnete Tür des Flugzeugs, hierauf stieg er mit Hilfe des Oberst selbst ein. Er setzte sich auf einen schmalen Sitz, blickte aus dem Seitenfenster und zog den Sack näher zu sich heran, sodass er direkt zu seinen Füßen lag. Dann wartete er auf den Start.
    Das Flugzeug, das mit dem Aufheulen seines Motors die Erde erbeben ließ, raste über die schneebedeckte Lichtung und erhob sich in den fahlen Nordhimmel.

Kapitel 23
    In dieser Nacht konnte der Engel nicht schlafen. Er wälzte sich lange herum, drehte sein Gesicht mal zur schlafenden Katja, deren Atemzüge deutlich zu hören waren, dann wieder zum halblaut schnarchenden Semjon Gusew, dem ehemaligen Helden von Perekop, der jetzt für den „Versammlungshammer“ zuständig war, welcher mit einer Kette neben der Eisenschiene an der Stallwand befestigt war. Da er weder Ruhe noch Schlaf fand, stand der Engel auf, warf etwas Reisig in den offenen Schlund des Lehmofens und verließ die Behausung.
    Der sanfte Atem der Nacht munterte ihn auf. Die Stille lenkte ihn von seinen Gedanken ab. Der Mondschein bedeckte die schlafende Erde wie Samt.
    Die Wärme des Sommers war jedoch schon abgeklungen, und vom glänzenden Samt der nächtlichen Erde stieg kühle Luft herauf.
    Plötzlich erklang vom Fluss her das schallende Lachen einer Frau, und es schwang solch reine Freude darin, dass der Engel unweigerlich lächeln musste. Er blickte in die entsprechende Richtung, konnte aber dort niemanden sehen. Er ging auf die andere Seite des Hügels, dorthin, wo ein neuer Pfad zum Fluss führte.
    Das Lachen verstummte, dann machte es einen Platsch, als ob ein großer Fisch mit seiner Schwanzflosse gegen die Wasseroberfläche geschlagen hätte.
    Der Engel blieb an der Böschung stehen – im samtenen Halbdunkel glänzte der Fluss und spiegelte die Sterne und den Mondschein wider.
    Da sah er, dass eine Frau verspielt und heiter im Licht des Mondes schwamm, sie plätscherte und spritzte im Wasser herum und versuchte gar, den Mondschein anzuspritzen oder zu vertreiben, als handle es sich um Seerosen oder Tang.
    Das Schauspiel versetzte den Engel in Staunen. Auf einmal drang nun auch eine männliche Stimme an sein Ohr, die leise und etwas rau war, was sie aber sagte, war unmöglich zu verstehen. Der Engel sah genauer hin und erblickte einen kleingewachsenen Mann, der vorsichtig in den Fluss stieg. Dabei war er vollkommen nackt. Er lachte und murmelte etwas.
    Und da schwimmt die Frau aus dem Schein des Mondes heraus und näher an den bis zum Bauch im Fluss stehenden Mann heran, schöpft mit ihrer hohlen Hand Wasser und spritzt ihn an.
    „Ah! Oh!“, schreit der Mann mit vor Freude zitternder Stimme und geht einen Augenblick später in die Hocke, um bis zum Hals in das Wasser einzutauchen.
    Halb gehen sie, halb schwimmen sie gemeinsam auf den Mondschein zu, und dieses Schauspiel bereitet dem Engel solche Freude, dass er alles andere vergisst und einfach nur zusieht. Die beiden verhalten sich so, als ob sie allein auf der ganzen Welt wären.
    Der Engel ließ sich im Gras nieder, machte es sich bequem und stützte sich mit den Händen auf der kühlen Erde ab, die jedoch nicht kalt war, und er beobachtete das fröhliche Glück gewöhnlicher Menschen. Und mit einem Mal kam ihm ein ganz unnötiger Gedanke. Er stellte sich Katja und sich selbst dort im Fluss vor, wie sie beide planschten, lachten und wie sie beide nackt waren. Und da regte sich in seinem Inneren, in seinem Herzen, ein Gefühl, das zugleich bitter und süß war. Sein Mund wurde trocken und seine Lippen verzogen sich, als ob es sie nach Wasser oder nach einem Kuss verlangte. Da wurde sich der Engel der ganzen Sündhaftigkeit seiner Fantasie bewusst und er biss sich so fest auf die Unterlippe, dass er auf der Zunge Blut schmeckte. Aber nicht der Schmerz, sondern ebendieser Geschmack

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