Der Wald des Vergessens
Tugendhaftigkeit gewesen, die ihn dazu veranlaßt hatte. Cap Marvell hatte die Party nicht allzu lange nach ihrer Unterhaltung mit Ellie Pascoe verlassen. Als sie sagte, sie werde jetzt gehen, hatte er einen Blick auf seine Uhr geworfen und gesagt: »Eine Frau, die das Trinken abbricht, weil sie fernsehen will, sollte sich ein Videogerät kaufen.«
»Wußtest du nicht, daß derlei Dinge für Frauen zu den Geheimwissenschaften gehören? Falls du morgen um die Mittagszeit Hunger verspüren solltest, wie wäre es mit einem Bissen bei mir?«
»Das klingt gut«, hatte er gesagt. »Aber ich kann mich nicht festlegen. Bei meinem Job, da weiß man nie, was passiert.«
»Dafür habe ich Verständnis«, sagte sie entgegenkommend. »Aber wenn du es einrichten kannst … Gute Nacht.«
Und sie war gegangen, mit einem Kuß auf die Wange, der köstlich war, weil sie ihn so selbstverständlich gab, aber auch gefährlich, weil er so ehefraulich war.
Einige Zeit später hörte er sich zum Vizekanzler sagen: »Gibt’s hier irgendwo einen Fernseher, Saufnase? Ein Fall, an dem ich arbeite, könnte erwähnt werden.«
»Aber natürlich. Ich freue mich immer, wenn ich der Polizei bei ihren Ermittlungen helfen kann«, sagte Burgoyne, und fünf Minuten später saß Dalziel vor einem Fernseher und erlebte, wie Cap mit der Leichtigkeit eines Routiniers einen schwulen Reporter auf den Pott setzte und sogar ihre Kritik an ALBA so nahtlos in ihren Bericht von der Entdeckung der Knochen einflocht, daß es nicht möglich gewesen war, sie herauszuschneiden. Irgendwie wirkte ihr elektronisches Bild noch stärker auf ihn als ihre körperliche Gegenwart, und als der Beitrag beendet war, kehrte er nicht zur Party zurück, sondern ging zu seinem Auto und fuhr zu den Blocks, in denen Cap ihre Wohnung hatte.
Hätte er ein Licht im Fenster gesehen, wäre er sofort zu ihr hinaufgegangen, aber die Wohnung lag im Dunkeln, noch nicht einmal das Geflacker eines Fernsehers war zu erkennen.
Während er noch verunsichert in seinem Auto saß und sich widersprüchlich als unentschlossenen Halbwüchsigen und närrischen geilen Alten verfluchte, sah er sie zu seiner Überraschung aus der schmalen Zufahrt kommen, die zu den Garagen hinter den Blocks führte. Nun war der richtige Augenblick gekommen, sie abzufangen und ihr zu sagen, sie habe eine großartige Show verpaßt und ob er sie ihr nicht bei einem Schlummertrunk beschreiben solle.
Schlummertrunk. Gierig bildete er das Wort mit den Lippen nach und beobachtete sie, wie sie sich mit Entschlossenheit und Grazie auf den Eingang zubewegte, eine selbstgenügsame Frau, die wußte, was sie wollte – und die ihr eigenes Leben führte, von dem er nichts wußte.
Aus irgendeinem Grund hatte dieser Gedanke eine abschwellende Wirkung auf ihn, und er blieb in seinem Auto sitzen, bis sie das Gebäude betreten hatte. Dann fuhr er weg. Doch als er daheim angekommen war, verfluchte er sich bereits wieder, ein alter Narr zu sein. Es bestand keinerlei Zweifel, er hatte wirklich Lust auf eine weitere Portion dessen, was sie sich bei jenem Mittagessen zum Nachtisch genehmigt hatten. Und doch … und doch … Schlichte Lust machte ihm nichts aus. Ein Mann, den es nicht ab und an mal überkam, konnte sich gleich als Wachmann in einem Harem verpflichten. Bei Cap verursachte ihm etwas anderes Bauchweh. Da war nicht nur seine Sorge als Polizist, daß sie ihn vielleicht doch noch beruflich in Verlegenheit bringen könnte, sondern ein bisher noch zu unbestimmtes Gefühl, um Gestalt angenommen zu haben, daß es nach dem Spiel noch ein Nachspiel geben könnte …
Am gestrigen Nachmittag hatte sich das Telefon erneut gemeldet, kaum daß sie sich voneinander gelöst hatten, und hatte die gefährlichen Minuten, in denen man sich um Kopf und Kragen reden konnte, sozusagen abgeschnitten.
Wie prophezeit, waren es Fernsehen und Presse gewesen, die, von ihren Fesseln befreit, scharf auf die Story waren. Er hatte Cap allein gelassen, damit sie ihr Fernsehinterview organisieren konnte, und war in die Küche gewandert, um sich noch ein mexikanisches Bier zu holen. Fast automatisch überflog er die Notizzettel, Postkarten, Einladungen und was sie sonst noch so an ihrer Pinnwand befestigt hatte.
»Auf Spurensuche, Andy?« sagte sie von der Tür aus.
Sie war noch nackt, aber von jeder Unsicherheit frei, versuchte sie noch nicht einmal ihren Bauch einzuziehen, der altersbedingt abgesackt war.
»Ich bin nur davon beeindruckt, mit wem du
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