Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
schaffen«, schlug Olga vor, gerade als Ines‘ Handy klingelte. Ines sah auf das Display, stand sofort auf und ging in den Garten. Drei Minuten später war sie wieder da. Nachdenklich ging sie hin und her.
»Was ist los?«, wollte Thorvald wissen.
»Die Spurensicherung hat bestätigt, dass Juliane und Luis in der Hütte waren. Damit hat Hanna ein Motiv, nämlich Eifersucht.«
Ines setzte sich, zündete bedächtig eine Zigarette an, inhalierte tief und stieß den Qualm in die heiße Luft. »Für den Staatsanwalt Grund genug, einen Haftantrag zu stellen.« Ines machte eine Pause, drehte ihre Zigarette zwischen den Fingern. »Ich habe gestern Abend noch mit Hanna geredet. Sie war gekränkt und gedemütigt. Und sie war stinksauer auf Luis. Aber ihr glaubt doch nicht, dass sie Juliane deswegen umgebracht hat. Sie setzt doch nicht all das hier aufs Spiel«, Ines zeigte mit großer Gestein den Wald, »die Praxis, die herrliche Wohnung über dem ›Luis‹. Sie führt die Praxis deines Vaters weiter, Olga, sein Lebenswerk, sie ist der verantwortungsvollste Mensch, den ich kenne.« Ines sah abwechselnd Olga und Thorvald an. Dann atmete sie tief ein. »Ich werde ein paar Informationen einholen … es ist das Einzige, was ich im Moment für Hanna tun kann.«
Olga und Thorvald sahen sich an und lächelten.
»Ich wusste doch, dass dein kriminalistischer Spürsinn längst erwacht ist«, sagte Olga. »Ich werde dir helfen.«
»Versprich dir nicht zu viel«, wandte Ines schnell ein. »Ich werde mich im Hintergrund halten. Ich will mir keinen Ärger einhandeln.«
»Wenn einer Hilfe braucht, dann Benno«, sagte Thorvald mit Blick auf die Hütte. »Da drinnen liegt das wahre Opfer.«
Es war bereits spät und die Strahlen der Sonne erreichten nur noch das Dach der Hütte. »Ich habe langsam richtig Hunger«, stöhnte Thorvald.
»Ich habe so gut wie nichts zu essen hier oben«, stellte Olga fest. »Nur aufgeweichte Prinzenrolle.«
»Dann müssen wir uns von Wurzeln, Beeren und Kräutern ernähren«, sagte er traurig.
»Oder ins ›Luis‹ gehen.«
»Ines!«, rief Thorvald erfreut. »Was für eine gute Idee.«
9
Olga hatte die dampfende Teetasse auf dem runden Beistelltischchen abgestellt, dessen Oberfläche mit einer aufwändigen Einlegearbeit aus Schildpatt verziert war. Das heiße Getränk würde ihr nur wieder Schweißausbrüche verursachen. Sie lehnte sich auf dem kalten, ledernen Chesterfield-Sofa zurück und betrachtete die Gemälde, die überall an den Wänden hingen. Die meisten kannte Olga noch aus ihrer Kindheit, doch sie hatte den Eindruck, dass in den mehr als zwanzig Jahren, die sie nicht mehr in diesem Haus gewesen war, noch etliche hinzugekommen waren.
An der gegenüberliegenden Wand hing das »Stillleben mit Hummer und Früchten«, das sie als Kind schon fasziniert hatte, weil es so plastisch gemalt war, dass sie jedes Mal versucht war, in das Bild zu greifen, um die zur Hälfte geschälte Zitrone herauszunehmen, die auf einem silbernen Teller lag.
Vincent Ambach hatte bemerkt, wie interessiert seine Enkelin die Kunstwerke betrachtet hatte. Langsam ging er an dem riesigen Marées vorbei auf ein kleines unscheinbares Bild in einem barocken Goldrahmen zu und nahm es vorsichtig von der Wand. Nachdem er sich neben Olga auf das Sofa gesetzt hatte, reichte er ihr das Bild. Olga hielt es vorsichtig mit beiden Händen am Rahmen und betrachtete es. Als sie die Signatur sah, stockte ihr der Atem. Klein, wie es war, verströmte es eine surrende Energie, so dass Olga unwillkürlich ihre Finger streckte,um so wenig Berührungsfläche wie möglich zu haben, als hätte sie gar nicht das Recht, etwas anzufassen, das von Caspar David Friedrich stammte.
Stumm betrachtete sie das Bild. Vincent beobachtete Olga.
»Ich wusste, dass du so etwas zu schätzen weißt«, sagte er kühl.
»Das muss ein Vermögen wert sein«, flüsterte sie.
»Die Summe hat keine Aussagekraft. Der Wert ist ideell.«
»Ja«, lachte Olga. »Nur für mich würde es bei der Idee bleiben. Oder bei einer Kopie.« Lange betrachtete sie das Bild, bevor sie es ihrem Großvater zurückgab, der es wieder in seine Sammlung integrierte.
»Es braucht einen anderen Platz, es hängt zu nah bei den anderen.« Olga blickte in dem leicht abgedunkelten Raum umher und deutete auf die Wand links neben den beiden verglasten Flügeltüren, an der ein Bild in einem schlichten, schwarzen Rahmen hing, das einen Wald mit mächtigen, alten Eichen darstellte.
»Hier
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