Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
kommt aber immer unvermutet zurück, weil er noch eine Frage hat.«
»Dann hältst du ihn an der Tür auf«, murmelte Ines abwesend, als würde sie gerade einen wichtigen Gedanken verfolgen, der nicht verloren gehen durfte. Sie fischte ein Blatt aus einem Stapel und reichte es Olga.
Olga brauchte eine Weile, bis sie diese hingeworfenen Schriftzeichen zuordnen konnte. »Das sieht nach Stenografie aus. Na, prima!«
»Ich habe jede Menge Seiten gefunden, die ausschließlich in Kurzschrift geschrieben sind.«
»Das heißt doch, sie musste sich rasend schnell Notizen machen, obwohl sie ein so gutes Gedächtnis hatte. Wir müssen jemanden finden, der uns das entziffert«, schloss Olga. »Die Himmelreich kann bestimmt Steno.«
»Klar, aber die fragen wir nicht. Das müssen wir irgendwie selbst hinkriegen. So schwer kann das nicht sein.«
»Hast du sonst nichts Brauchbares gefunden?« Olga war enttäuscht.
Ines sammelte die Unterlagen zusammen und hielt nun den ganzen Stapel in ihren Händen.
»Wir wissen nicht, ob die Beamten Unterlagen vonJulianes Schreibtisch mitgenommen haben oder nicht. Wenn ja, warum dann diese nicht? Ich kann Kirschbaum schlecht einschätzen, aber ich glaube, er hat sich auf Hanna eingeschossen. Und warum sollte er sich die Mühe machen und nach anderen Beweismitteln suchen, wenn die Sache für ihn bereits klar ist.«
Ines ließ den Stapel auf die Knie sinken. »Ist ja auch nicht gerade aus der Luft gegriffen. Leider.«
»Ich habe übrigens noch etwas.« Olga reichte Ines das Ringbuch. »Das hat sie bei meinem Großvater vergessen, Elise hat es mir gegeben.«
»Ah!« In Ines’ Gesicht blitzte ein Hoffnungsschimmer auf. Endlich hatten sie etwas, das direkt von Juliane kam und nicht erst durch Polizistenhände gegangen war.
Auch hier Julianes Schnellschrift, aber immerhin keine Stenografie. Es waren Notizen zu Olgas Familie. So viel konnten sie entziffern. Ines deutete auf eine Stelle in dem wirren Gekrakel, die zweimal dick eingekreist war.
»Aber sie muss ihr wichtig gewesen sein. Hier … scheint mit ›H‹ anzufangen.« Ines fand auf der nächsten Seite wieder diese Markierung. »Könnte dasselbe Wort sein.«
Olga war aufgestanden und hinausgegangen. Resigniert setzte sie sich auf die wackelige Bank, die an der Wand stand. »Nach was suchen wir? Das ist doch sinnlos. In der kurzen Zeit werden wir nichts erreichen.«
»Ich fahre morgen früh zu meinen Eltern«, sagte Ines, die sich neben sie gesetzt hatte. »Ich glaube, sie sind beleidigt, weil ich mich nicht blicken lasse. Ich nehme die Unterlagen mit und sehe sie noch mal genau durch. Ich werde schon was finden.«
15
Benno saß mit müden Augen vor dem Bildschirm, den Kopf in die linke Hand gestützt. Sein rechter Zeigefinger drückte unermüdlich auf die kleine Maus, aber nichts, was auf dem Bildschirm in schneller Folge vor ihm ablief, ließ seine Miene erhellen. Die Bilder huschten über den Bildschirm wie in einer schnellen Diashow.
»Verdammt!«, flüsterte er. Er war sich so sicher, dass er das Bild genau hier, in diesem Zusammenhang, gesehen hatte. Er erschrak fürchterlich, als sein Telefon klingelte. Mit klopfendem Herzen nahm er den Hörer ab.
»Ja? – Äh, Thalbach.«
»Ich bin es, Olga. Was ist los? Bist du am Schreibtisch eingeschlafen?«
»Olga, gut, dass du anrufst. Ich muss dich sprechen, dringend.«
»Was ist passiert?«, fragte Olga erschrocken und ärgerte sich erneut über ihre ungewohnte Schreckhaftigkeit. »Hast du etwas im Wald entdeckt?«
»Nicht direkt, oder doch, ja aber – anders.«
»Was soll die Geheimnistuerei? Kannst du nicht reden?«
»Genau!« Benno warf einen Blick in das Nebenzimmer, in dem sich zwei Kollegen unterhielten.
»Okay. Soll ich kommen? Es wird allerdings dauern. Thorvald ist vorhin mit dem Auto zur Probe gefahren, ich bin also nicht mobil.«
»Lass nur.« Er fuhr den Rechner runter. »Ich komme zu dir, bis gleich.«
Und schon hatte er aufgelegt.
Olga ließ ihr Handy in die Umhängetasche gleiten. Sie holte eine große Wasserflasche heraus und schraubte langsam und nachdenklich den Verschluss auf. Sie schaute in den ruhigen Wald. Der leichte Wind hatte für angenehmere Temperaturen gesorgt.
»Eigentlich müsste es jetzt ein Unwetter geben«, dachte Olga. »Mit starkem Regen, Blitz, Donner und Sturm. Das Bergische Wetter ist nicht mehr verlässlich. Nichts ist mehr verlässlich.«
Ines hatte ihre Sachen gepackt und war zu ihren Eltern aufgebrochen. Olga saß noch
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