Der Waldläufer
Nacht, und erst als der Morgen angebrochen war, schlug der Haziendero die Augen auf. Als er die Helle des Tages bemerkte, sprang er auf.
»Warum habt Ihr mich nicht geweckt?«
»Ich glaubte Euch nicht gefährdet.«
Auch Rosarita und die Vaquero’s, welche erwachten, machten ihm freundliche Vorwürfe. Dann wurde das Morgenmahl eingenommen und man rüstete sich zum Aufbruche.
»Was thun wir mit den Teufeln?« frug Don Augustin.
»Das mag Eurer Bestimmung überlassen bleiben.«
»Sie hätten den Tod verdient.«
»Sicher, nicht blos Euretwegen, sondern schon hundert Male wegen früherer Sünden.«
Auch die Vaquero’s sprachen diese Ansicht aus, doch sprach Rosarita bittend dagegen, so daß die Männer, welche wohl auch nicht im Ernste daran dachten, ein so strenges Urtheil zu vollziehen, sich entschlossen, die Gefangenen freizulassen.
»Um uns dabei nicht in neue Gefahr zu begeben, lassen wir ihnen nichts von ihren Waffen,« schlug der Haziendero vor.
»Verzeiht, Sennor,« wandte Tiburcio ein, »das hieße hier in der Savanne sie dennoch zum Tode verurtheilen.«
»Wie so?«
»Sie bedürfen ihrer Waffen zu ihrem Unterhalte. Laßt mich dafür sorgen, daß wir jede Gefahr vermeiden. Ihr könnt die Hazienda del Venago bis zum Abend erreichen und befindet Euch sodann in vollständiger Sicherheit. Ich werde hier zurückbleiben und ihnen die Freiheit zu einer solchen Zeit geben, daß sie Euch nicht erreichen können.«
»Nein, das gebe ich nicht zu,« warf Rosarita ein, »denn auf diese Weise nehmt Ihr die Gefahr ja nur auf Euch.«
Diese Aengstlichkeit für ihn that Tiburcio unendlich wohl; seine Wangen rötheten sich freudig, als er antwortete:
»Habt keine Sorge um mich, Donna Rosarita! Ich werde die Sache so einrichten, daß mir nichts geschehen kann.«
»Wollt Ihr das uns ganz sicher versprechen?«
»Ganz sicher!«
»So sollt Ihr Euren Willen haben, doch nur unter der Bedingung, daß Ihr uns so bald wie möglich auf der Hazienda del Venado aufsucht, damit wir Gelegenheit haben, Euch unsern Dank noch besser abzustatten, als es hier möglich ist!«
Auch der Haziendero sprach diesen Wunsch aus.
»Ich werde kommen,« versicherte der Rastreador, indem er seiner schönen Freundin in den Sattel half.
»Und zwar bald?« frug Don Augustin.
»Bald!«
Die kleine Kavalkade setzte sich in Bewegung und war bald den Augen des nachblickenden Tiburcio entschwunden.
Dieser wandte sich jetzt den Gefangenen zu. Sie hatten seit gestern kaum eine leise Bewegung gemacht, nicht das Geringste genossen und außer dem Ausrufe »Hund« kein einziges Wort hören lassen. Aber in ihren Mienen sprach sich ein Grimm aus, dessen Folgen sicher fürchterlich werden mußten, wenn sie Gelegenheit bekamen, ihre Rache zu befriedigen.
»Wollt Ihr trinken?« frug er.
Keiner antwortete.
»Oder einige Bissen Fleisch nehmend?«
Die Frage hatte ganz denselben Mißerfolg.
»Gut, wie Ihr wollt! Ich beabsichtigte, Eure Banden zu lockern und Euch etwas mehr Freiheit zu gestatten; das wird jetzt unterbleiben.«
Er hatte schon am vorigen Abende sein Pferd herbeigeholt und in der Nähe angepflockt; jetzt ließ er es frei, daß es sich hinreichend Futter suchen sollte. Er selbst streckte sich nieder, um in Bequemlichkeit das soeben erlebte Abenteuer in allen seinen Einzelheiten noch einmal an sich vorübergehen zu lassen. Der Vormittag verging in anhaltendem Schweigen, und erst als die Sonne den Zenith erreicht hatte, erhob er sich und pfiff seinem Pferde. Als er es aufgesattelt hatte, wandte er sich an die Gefangenen.
»Ich weiß, was mir von Euch droht, darum werde ich ein wenig vorsichtig mit Euch verfahren. Die Büchse ist von jetzt an mein Eigenthum; das ist die einzige Strafe, die Euch treffen soll, allein ich lasse Euch an ihrer Stelle die meinige zurück. Was Euch gehörte, lege ich dort unter jenen Summachstrauch; es wird Euch nicht schwer werden, hin zu gelangen und mit Hülfe der Messer die Riemen zu lösen.«
Nachdem er das Gesagte ausgeführt hatte, stieg er auf und verließ den Ort, welcher ohne sein Dazwischenkommen für die vier Leute aus der Hazienda del Venado so verhängnißvoll hätte werden können. Kein einziger Laut, kein Blick war ihm von den beiden Räubern noch geworden; aber er wußte, daß er sich in ihnen zwei ebenso furchtbare wie unversöhnliche Feinde erworben hatte.
Von hier bis zur Hazienda del Venado war es noch nicht eine kleine Tagereise. Der Weg führte durch jungfräuliche Wälder, deren Baumriesen so
Weitere Kostenlose Bücher