Der Wanderchirurg
dem er geschrieben hatte, war neu und roh gezimmert. Sein grobes Aussehen bildete einen krassen Gegensatz zu den säuberlich ausgefertigten Dokumenten, die darauf lagen - Stück für Stück peinlich genau im rechten Winkel ausgerichtet. Drei brennende Kerzen warfen spärliches Licht auf Pater Enrique, den Assistenten des Bischofs, der neben ihm saß und schlief. Der Oberkörper des Mannes lag entspannt auf der Tischplatte, nur der Kopf stand mit seltsam starrer Haltung vom Rumpf ab. Sie war typisch für Enrique und der Grund für seinen Spitznamen: Schiefhals. An der Tür hielten zwei der insgesamt zehn Soldaten Wache, die den Begleitschutz des Bischofs bildeten. Sie stützten sich auf ihre Hellebarden und wirkten nicht viel wacher als Schiefhals. Schlafmützen allesamt!, dachte Mateo und verkniff sich einen Verweis. Immerhin war festzustellen, dass man seine Männer mehr als bescheiden untergebracht hatte und sie deshalb nachts kaum Schlaf fanden. Die Ausnahme bildete natürlich er, Mateo, selbst. Ihn hatte man standesgemäß im ersten Stock der Bürgermeisterei einquartiert. Doch welch eine unerfreuliche Situation! Welch ein armseliges Nest! Der Bischof gestattete sich ein Hüsteln und erwog, ob er sich höherenorts über die schlechte Behandlung beschweren sollte, doch sogleich verwarf er den Gedanken wieder. Vorsicht ist die Mutter der Karriere! Das war sein Leitspruch. Nicht zuletzt ihm hatte er es zu verdanken, dass er bei König und Papst in so hoher Gunst stand. Und jetzt, durch die Verhaftung Ignacios, war sein Aufgabenbereich sogar noch umfangreicher geworden. Der Dominikanerpater, schon immer von ihm als leidiger Konkurrent im Streit um die wirksamste Ketzerverfolgung verachtet, saß mittlerweile irgendwo in den Katakomben des Laterans, persönlich dazu verurteilt von Gregor XIII. Ein schmales Lächeln stahl sich auf Mateos Lippen. Wie der Pontifex Maximus letztlich Kenntnis von Ignacios gotteslästerlichem Lebenswandel erhalten hatte, ging niemanden etwas an ... »Pater Enrique«, sagte Mateo mit beherrschter Stimme, »erwacht.« Der Assistent schlief weiter.
Mateo richtete sich korrekt zu voller Sitzhöhe auf, drehte den Kopf, bis er Enrique im Blickfeld hatte, und sprach lauter: »Euer Schlafbedürfnis ist eines Gottesmannes unwürdig.« Als noch immer keine Reaktion kam, rollte der Bischof das Pergament zusammen und schlug es dem Schläfer mit einer gezielten Bewegung an den Kopf. »Eine Botschaft für Seine Majestät!«
Endlich rührte sich Schiefhals. Er reckte die Arme und gähnte ausgiebig.
»Fertigt eine Abschrift dieses Schreibens für den Heiligen Vater in Rom an und versiegelt dann beide Botschaften. Das Original geht mit dieser Extraliste an den König. Sendet alles noch heute mit berittenem Boten ab.«
Schiefhals gähnte abermals. Dann lächelte er träge, wobei zwei Reihen fauliger Zähne sichtbar wurden.
»Gewiss, jawohl, gewiss, mein Bischof.«
»Ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf.« Dieser Enrique ist schlimmer als Aussatz und Pest zusammen!, dachte Mateo. Nicht nur, dass er ihn hartnäckig mit »mein Bischof« ansprach - »Euer Exzellenz« wäre angemessen gewesen -, er ließ es generell am gebührenden Respekt fehlen. Mateo fühlte sich bemüßigt, diesem Faulpelz einmal kräftig den Marsch zu blasen, doch er unterdrückte den Wunsch. Vorsicht ist die Mutter der Karriere! Es hieß, Enriques Familie sei mütterlicherseits mit dem Hause Habsburg verwandt und darum fließe gewissermaßen das Blut Philipps II. auch in seinen Adern.
»Ei, ei«, sagte Schiefhals, und seine Augen verrieten, dass er die Gedanken seines Bischofs erraten hatte.
»Euch wird die Galle doch nicht hochkommen?«
Unvermittelt stieß seine Rechte vor, umschloss die Botschaft und ließ sie unter seiner Robe verschwinden. Es sah aus, als ließe ein Chamäleon seine Zunge hervorschnellen.
»Wie wär's mit einem kräftigen Mittagsmahl?«, fragte Schiefhals übergangslos. Essen war seine große Leidenschaft. Er war in der Lage, einfach alles in sich hineinzuschlingen, immer und in nahezu unbegrenzten Massen. Der Geschmack spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Hauptsache, die Menge stimmte. Das Erstaunliche war, dass Enrique trotz allem dürr wie eine Bohnenstange blieb.
»In Gottes Namen.« Mateo war um Haltung bemüht.
»Jetzt geht erst und besorgt meine Aufträge. Anschließend mögt Ihr ein Mahl auftragen lassen. Aber hier im Verhandlungsraum. Wir haben noch zu arbeiten.«
»Ja, mein
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