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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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selbst wenn, so haben sie mit ihrem alten Aussehen nichts mehr gemein!« Sein Blick glitt amüsiert über die beiden Flüchtlinge, deren Gesichtsschwellungen dank einer Salbe von Pater Thomas bereits abklangen. Vitus trug einen angeklebten schwarzen Vollbart, und sein Schädel war völlig kahl geschoren. Er sah so verändert aus, dass er sich selbst nicht wieder erkannt hätte. Der Magister erinnerte eher an einen Jüngling als an einen Mann. Er hatte eine blonde Lockenperücke angelegt, die ihm über Haupt und Stirn wallte, dazu kam ein blonder Spitzbart. Ein blaues Wams von Antonio und eine derbe Leinenhose von Lupo rundeten seine Ausstattung ab. Insgesamt wirkte er so jugendlich, als sei er ein Bruder der Zwillinge.
    »Vestis virum reddit«, zitierte Cullus verschmitzt.
    »Kleider machen Leute, wie die alten Römer zu formulieren wussten.«
    »Orantes, willst du nicht auch mal für eine Weile aufs Pferd?«, fragte Vitus.
    »Nein nein.« Der Landmann winkte freundlich ab.
    »Das Gehen macht mir nichts aus, und außerdem sind wir bald da.«
    »Was ich dich die ganze Zeit fragen wollte ...« Vitus zögerte. »Was macht Isabella eigentlich bei dir, sie gehört doch ...«
    »Es ist so, wie du vermutest«, half ihm Orantes. »Vor ein paar Wochen stand sie eines Morgens auf dem Hof. Sie war allein von Punta de la Cruz zu uns gelaufen. Ich wusste sofort, dass etwas passiert war. Und leider behielt ich Recht. Emilio war am Abend vorher gestorben.«
    »Das tut mir aufrichtig Leid. Ich habe ihn kaum gekannt, wie du weißt, und trotzdem war er für mich ein Freund. Lag es am Bluthusten?«
    »Ja, der war's«, antwortete Pater Thomas für Orantes.
    »Ein Dorfjunge hatte mich verständigt, ich eilte spätabends an Emilios Bett. Er war schon sehr schwach und lag in einer großen, roten Lache, die von mehreren Blutstürzen herrührte. Ich verabreichte ihm ein Sedativum, woraufhin er ruhiger wurde. Dann, nach einer Weile, bat er um die Sterbesakramente, und ich gab sie ihm. Er ging von uns mit einem Lächeln auf den Lippen.«
    »Heute liegt er auf dem kleinen Friedhof neben der Kirche in Punta de la Cruz«, berichtete Orantes. »Meine Ana geht manchmal hin und legt frische Blumen aufs Grab.«
    »Alles Irdische ist vergänglich«, seufzte Pater Thomas und schlug das Kreuz.
    »Da vorn, auf der kleinen Lichtung, ist schon die Scheune«, sagte der Landmann.
    Die Nacht in dem einfachen, zugigen Holzschuppen war sehr kalt gewesen.
    Zu später Stunde noch hatten sie ein Dankgebet gesprochen, sich anschließend zur Ruhe begeben und unter den Pferdedecken Wärme gesucht.

    Matutin, Laudes und Prim, drei der vielen im Brevier vorgeschriebenen Stundengebete, hatten sie der besonderen Umstände wegen ausfallen lassen, dafür aber eine besonders intensive Terz abgehalten. Jetzt, gegen Mittag, nahmen alle ein karges Mahl ein. Von den mitgeführten Vorräten gab es getrockneten Fisch, ein paar Scheiben Brot und Nüsse. Dazu tranken sie Wasser aus einer nahen Quelle.
    »Weiß jemand, wo Orantes und seine Zwillinge sind?«, fragte Vitus. »Ich habe sie schon heute Morgen vermisst.«
    »Der Gute hat es sich nicht nehmen lassen, die ganze Nacht für uns Wache zu halten«, antwortete Gaudeck.
    »Heute Morgen ist er direkt zurück nach Dosvaldes, um sich dort umzuhören, ob wir verfolgt werden. Es ist Markttag, wie er sagte, die beste Gelegenheit also, Neues zu erfahren.« Gaudeck saß mit den anderen im Schneidersitz auf einem Heuwagen, dessen Ladefläche ihnen als Tafel diente. Sein Platz befand sich an der Stirnseite, denn er war so etwas wie der Hausherr in der Scheune, auch das Tischgebet hatte er vorhin gesprochen.
    »Allerdings mussten mir Orantes und seine Jungen hoch und heilig versichern, sich vorzusehen«, fuhr er fort,
    »wenn sie nicht zurückkämen, wäre das eine Katastrophe, sie sind in diesen Tagen unsere Augen und ...«
    »Bei wem nämlich diese Dinge nicht vorhanden sind, der ist blind und tappt im Dunkeln«, unterbrach Pater Cullus unbedacht. »2. Brief des Petrus, Kapitel 1, Vers 9.«
    »Ganz recht«, bestätigte Gaudeck freundlich, »und wer so fromm und bibelfest ist wie du, Cullus, der ist sicher auch gern bereit, den anderen einen Dienst zu erweisen. Du wirst deshalb die Reste der Tafel abräumen und alles peinlich säubern.«
    »Jawohl, Ehrwürdiger Vater.« Cullus senkte in Demut das Haupt. »Levi defunga poena«, murmelte er, »da bin ich mit leichter Strafe davongekommen.«
    »Levi poena defungeris«, entgegnetete Gaudeck,

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