Der Wanderchirurg
Schulter, bevor er seine Stimme erhob: »Der Abuelo hier hat das Fell vor dem Auge, ihr guten Leute, und für alle, die den Ausdruck nicht kennen, will ich es anders sagen: Man nennt das Leiden auch »Graue Augen«. Nun«, er beugte sich zu dem Alten hinab, »wie ist Euer Name?« »Felipe«, murmelte dieser. Ihm war sichtlich unbehaglich zumute.
»Felipe kann geholfen werden, mit einer Arznei, die sich hundertfach bewährt hat! Zur Herstellung der Rezeptur nehme man die Eier der Roten Ameise und gebe sie in ein Gläschen, man verklebe es wohl, dass keines der Eier herausfallen kann. Hierauf schlage man das Gläschen in Schwarzen Teig ein. Anschließend forme man ein Brot daraus und backe dieses im Ofen. Nach dem Erkalten öffne man vorsichtig das Glas, damit es nicht zerbreche. So ist aus den Ameiseneiern ein Ameisenwasser geworden. Dieses Wasser muss vier-oder fünfmal am Tag in die Augen getan werden, jedes Mal ein Tröpflein, und schon bald, Abuelo, wird sich der Schleier von Eurem Auge lüften.«
Zur Überraschung des Doctorus schob sich der eine der Brüder mit grimmiger Miene vor. »Solche Rezepte hat unser Vater schon zu Dutzenden ausprobiert, Doctorus, und alles war für die Katz. Wir wollen, dass eine kundige Hand ihn operiert, sagt uns offen, wenn Ihr es nicht könnt.« Der Mann hatte nicht sehr laut gesprochen, doch die am nächsten Stehenden hatten seine Worte gehört. Auch Vitus hatte mitbekommen, was der Sohn wollte. Er war gespannt, wie der Doctorus reagieren würde.
»Soll dem Väterchen jedoch innerhalb weniger Minuten geholfen werden«, schrie Bombastus Sanussus in die Menge, wobei er so tat, als wären die Worte des Sohnes nie gefallen, »gibt es nichts Wirksameres als die Operation!« Wieder wandte er sich an den Alten: »Ihr seid doch einverstanden, Abuelo?« Felipe nickte schüchtern.
»Der Eingriff ist allerdings nicht ganz billig, ich sag's Euch gleich. Einen halben Silberpeso wird es Euch kosten.«
»Keine Sorge, Doctorus«, schaltete sich der zweite Bruder ein, »wir können zahlen.«
»Wohlan, setzt das Väterchen in die Sonne, Ihr als sein besorgter Sohn mögt seine Stirn von hinten umfassen und seinen Kopf halten, der andere mag seine Hand halten.«
Bombastus Sanussus winkte Tirzah, die ihm eine Nadel für den Starstich reichte. Der Doctorus hatte dem Alten gegenüber Platz genommen, ergriff die Nadel mit der Rechten und bemerkte, dass er sie mit der linken Hand führen musste, da es sich um das rechte Auge handelte. Er schwieg jetzt und schien sich zu konzentrieren. Dann zog er mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Augenlider auseinander, während er mit der linken die Nadel ansetzte. Seine Bewegungen wirkten wenig harmonisch. Doch dann, mit einem entschlossenen Ruck, stieß er die Nadel von der Schläfenseite her ins Weiße des Auges. Der alte Mann stöhnte auf und versuchte, den Kopf zurückzuziehen, doch seine Söhne hielten ihn eisern fest. Weiter glitt die Nadel bis in die Pupille. Hier verhielt der Doctorus für einen Moment und holte tief Luft. Der alte Mann saß jetzt starr wie eine Echse in der Sonne.
»Gleich ist es vorbei, Vater«, sagte der Sohn, der ihm die Hand hielt.
Bombastus Sanussus bewegte die Nadel jetzt abwärts und drückte mit ihr die getrübte Linse nach unten, bis sie verschwunden war. Sowie er dies getan hatte, zog er die Nadel wieder heraus und sprang erleichtert auf.
»Das war es schon!«, rief er der Menge zu. »Nun, Abuelo, könnt Ihr mehr erkennen?« Der Alte blinzelte heftig, das Auge tränte stark. »Das kann ich in der Tat«, rief er nach einer Weile, »ich sehe wieder Konturen, alles ist klarer als vorher!«
»Esta bien!« Der Doctorus war sehr zufrieden. »Ich mache Euch jetzt noch eine Kompresse mit meinem Ameisenwasser, anschließend verbinde ich Euch beide Augen, damit Ihr nichts sehen könnt und deshalb auch nicht in Versuchung kommt, die Augen zu bewegen. Acht Tage müsst Ihr stramm liegen und Euch schonen.«
»Ich danke Euch, Doctorus«, murmelte der Alte, während er sich mühsam mit Hilfe seiner Söhne erhob. Er war von dem Eingriff noch sehr mitgenommen.
»Was sagst du dazu, Vitus?«, fragte der Magister. »Du musst zugeben, dass alles, was er gemacht hat, sehr gekonnt wirkte.«
»Der Operateur sollte fähig sein, mit beiden Händen gleich gut zu arbeiten, da er die Starnadel am linken Auge mit der rechten und beim rechten Auge mit der linken Hand führen muss«, entgegnete Vitus. »Mir ist aufgefallen, dass er mit
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