Der Wanderchirurg
Bombastus Sanussus ein leichtes, per Uromantie die Schwächen und Eigenschaften der »Schwester« zu erkennen - sie stand ja sozusagen vor ihm.«
»Und was sagst du zur Harnschau?«
»Pater Thomas steht ihr von jeher skeptisch gegenüber, und ich teile seine Meinung. Die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums ist bei dieser Methode viel zu hoch. Nimm als Beispiel nur einen sehr gelben Harn: Viele Uroskopisten würden auf Grund dieser Beschaffenheit auf Leberprobleme, vielleicht sogar auf eine Gelbsucht schließen. Dabei kann die Erklärung viel harmloser sein, dann nämlich, wenn der Urinbesitzer vorher reichlich Möhren genossen hat.«
»Ich verstehe«, nickte der Magister. »Und der Narrenstein? Du glaubst doch auch nicht, dass er den wirklich aus dem Schädel geholt hat?«
»Der Narrenstein war für mich der endgültige Beweis, dass unser Doctorus ein Scharlatan ist«, antwortete Vitus grimmig. »Das war übelste Menschenquälerei und Betrug dazu, schließlich hat er sich für seine Täuschung auch noch gut bezahlen lassen.«
»Er hat es sehr geschickt kaschiert.«
»Wenn ich nicht Sorge gehabt hätte, uns alle in Schwierigkeiten zu bringen, hätte ich diesem falschen Cirurgicus das Skalpell aus der Hand geschlagen!« In Vitus' Augen blitzte es. »Wir müssen uns irgendetwas überlegen, das ihm Einhalt gebietet«, sagte der kleine Gelehrte entschlossen, »sieh nur, jetzt verhökert er für viel Geld sein Balsamum vitalis, und die Leute stehen danach Schlange. Die Welt will betrogen sein.«
»Gottlob ist die Vorstellung zu Ende.« Vitus beruhigte sich etwas. »Für heute kann unser falscher Doctorus keinen Schaden mehr anrichten. Am Nachmittag geben unsere Gauklerfreunde eine Vorstellung, ich bin sicher, dass es dann ebenso voll sein wird.«
»Wenigstens dafür war der Auftritt des Quacksalbers gut: Unser Gastspiel dürfte sich bis dahin herumgesprochen haben.«
Ein paar Stunden später hatten Vitus und der Magister sich unter die Zuschauer gereiht, um die Darbietungen der Gaukler gut mitverfolgen zu können. Männer, Frauen und Bänder jeglichen Alters hockten im Gras, lachten, scherzten, schwatzten, gestikulierten und konnten den Beginn der Vorstellung kaum erwarten.
»Hochverehrtes Publikum! Ich habe das große Vergnügen und die unschätzbare Ehre, euch das Programm der weltbekannten Truppe Los artistas unicos anzukündigen.«
Von den meisten in der Menge unbemerkt, war Arturo hinter einem Wagen hervorgekommen. Er trug wieder das prächtige, goldbestickte Kostüm, das Vitus und der Magister schon kannten. Sein riesiger Schnauzer vibrierte bei jedem Wort.
»Freut euch zunächst auf einen Mann, dem es als Einzigem gelungen ist, die Schwerkraft zu besiegen, freut euch auf den großen Balancearo!«
Federnd sprang er hinter die Wagen und kam nach wenigen Sekunden wieder in seiner Jongleurs-Tracht hervor ... Das Programm nahm den Verlauf, den die Freunde schon kannten, doch alsbald erging es ihnen wie allen anderen Zuschauern, und sie standen ganz im Bann des Geschehens. Irgendwann fragte Vitus: »Hast du den Magier heute Mittag beobachtet? Er tat ziemlich geheimnisvoll und hat mehrfach mit den Zwillingen gesprochen.«
»Ist mir entgangen«, antwortete der Magister abwesend. Er verfolgte gerade, wie Zerrutti sich das schwarze Tuch Stück für Stück aus dem Ohr zog, um es anschließend über den Sarg mit Maja zu werfen.
»Es würde mich nicht wundern, wenn wir nachher noch etwas Neues von Zerrutti zu sehen bekämen, etwas, an dem die Zwillinge beteiligt sind. Ich habe so eine Ahnung.«
»Phantastisch!«
Der Magister war aufgesprungen, denn in diesem Augenblick hatte Maja den Sarg unversehrt verlassen. »Wie ist so etwas bloß möglich!« Auch Vitus hatte sich erhoben und klatschte Beifall.
»Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich genau: Zerrutti wird es uns nicht verraten.«
»Schau mal, Vitus«, rief der Magister, ohne auf die Bemerkung seines Freundes einzugehen. »Da erscheint ein Clown, ich glaube, es ist Arturo.«
Arturo hatte ein safrangelbes Trikot mit großen grünen Knöpfen angelegt, das mit einem dicken Kissen ausgestopft war, wodurch er lächerlich unförmig wirkte. Dazu trug er eine blaue Perücke mit halblangen Haaren. Seine Nase maß mindestens eine halbe Elle, war zinnoberrot und mit einer dicken Warze behaftet. Er stützte sich auf ein Fass, das ihm bis zur Brust reichte.
»Hallo, Kinder!«, rief er mit tiefer, gemütlicher Stimme. »Seid ihr alle da?«
»Jaahaaaaa!«, schrien die
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