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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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damit zusammenhing, dass er sein Offizierspatent mehr seiner Abstammung als seiner Tüchtigkeit verdankte. »So sieht das Ganze sehr viel besser aus!« rief er, um irgendetwas zu rufen.
    »Schon recht, Don Alfonso.« Najera war leicht verärgert: erst die Unterbrechung durch Fernandez und nun auch noch durch den Ersten! Ein Mangel an Respekt, der normalerweise disziplinarische Maßnahmen erfordert hätte, im Augenblick jedoch nicht in Frage kam. Der Graukopf war wichtiger.
    Er schritt zurück zur Querreling, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Seine Augen suchten und fanden den Alten. »Damit du mit der notwendigen Dienstfreude an deine Aufgabe herangehst, verspreche ich dir ein Fässchen Sherry, wenn du sie bewältigst. Sollte es dir jedoch nicht gelingen, schmeckst du morgen früh die Peitsche. Zusammen mit dem blonden Grinser.«
    »Capitan!« Fernandez trat an Najera heran. Er sprach sehr leise, damit nur der Kommandant ihn hören konnte.
    »Ich mache gehorsamst darauf aufmerksam, dass selbst unsere gewandtesten Männer das nicht schaffen würden.«
    Najera, der Widerreden satt, lief rot an. Er überlegte, ob er auch Fernandez die Peitsche androhen sollte, doch der Steuermann wurde als Navigator noch gebraucht.
    »Ich kann mich nicht erinnern, Euch um Eure Meinung gefragt zu haben!«
    »Verzeihung, Capitan.« Fernandez wandte sich ab. Es gelang ihm nur schwer, seinen Zorn über diesen Leuteschinder zu verbergen. Zum hundertsten Mal verfluchte er die Admiralität, die seine Bitte um Versetzung auf ein anderes Schiff abgelehnt hatte. Neben sich hörte er Najera laut zählen: »Eins, zwei, drei - und los!« Der Kapitän drehte das Glas um und stellte es, für alle gut sichtbar, auf der Reling ab, während Klaas schon in fliegender Hast zu klettern begann. Dutzende von Augenpaaren folgten ihm, wie er, käfergleich, zunächst zügig vorankam.
    Vitus' scharfe Augen wanderten beständig hin und her - zwischen dem Kletterer in den Wanten und dem Sand in der Uhr. Als fast die Hälfte durchgerieselt war, erreichte Klaas atemlos den Mars, schwang sich hinein und keuchte:
    »Es lebe der Capitän!«
    Dann hetzte er weiter. Auf Höhe der oberen Rah war das Sandglas schon zu drei Vierteln durchgelaufen. Spätestens jetzt sah jeder, dass der Graukopfes nicht schaffen würde. Vitus' Augen wanderten wieder nach unten, zu Najera und seinen Offizieren. Don Alfonso stand da, blasiert bis in die Zehenspitzen, aber der andere, der Steuermann, schien nicht einverstanden zu sein mit dem, was sich über seinem Kopf abspielte ...
    Klaas' Bewegungen wurden unsicherer, die Menge an Deck spürte seine Angst, als er zu den Backbord-Wanten hinübergrätschte und den Abstieg begann.
    Der Magister stieß Vitus mit dem Ellenbogen an:
    »Runter müsste es schneller gehen als rauf«, flüsterte er,
    »vielleicht schafft er's ja doch.«
    »Hoffen wir's.« Da strauchelte Klaas.
    Sein linkes Bein tappte ins Leere, vorbei an der daumendicken geteerten Trosse. Das rechte glitt ab ...
    »Aaaaah!« Ein Schatten aus verzweifelt rudernden Armen und Beinen flog ihnen von oben entgegen und schlug neben der Backbordreling auf. Der Laut war dumpf wie ein Paukenschlag.
    Einige Männer bekreuzigten sich. Fernandez schrie vom Oberdeck: »Wer kann, hilft ihm, die anderen treten weg, aber dalli, hier gibt es nichts mehr zu glotzen!«
    Najera verzog säuerlich das Gesicht, der Graukopf hatte ihm das Spiel verdorben. Jäh erlosch sein Interesse an den Geschehnissen. Mit Verletzten, Kranken oder Toten mochte er nichts zu tun haben. Er steckte sein Messinstrument ein und strich sich mit der Rechten über den Bauch. Als hätte das Schicksal ihm einen Wink geben wollen, hatte während der Kletterpartie sein Leibschmerz wieder eingesetzt. Nun, er wollte nicht abergläubisch sein. Er würde sich zurückziehen und ein großes Glas Madeira zur Beruhigung trinken. Eilig entfernte er sich. Vitus hockte schon neben dem Verunglückten. Klaas lag auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet, das linke Bein unnatürlich abgespreizt. Sein Atem rasselte. Das Gesicht mit den geschlossenen Augen war gerötet. Vitus fühlte den Puls - er war noch zu schnell und deshalb nicht aufschlussreich.
    »Hörst du mich?«
    Der Graukopf antwortete nicht. Doch wenigstens lebte er. Vitus machte einen erneuten Versuch. »Klaas!«
    »Wir helfen dir.« Ein paar kräftige Kerle kamen herbeigeeilt. »Sollen wir ihn fortschaffen?«
    »Nein, ich will erst sehen, ob er innere Verletzungen hat. Magister, hilf

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