Der Wanderchirurg
vormittags war, mithin eine Stunde vor der von ihm befohlenen Auspeitschung. »Capitan, die Carjjada macht gute Fahrt, habe Vorhin die Logleine auswerfen lassen und über vier Knoten Geschwindigkeit gemessen.«
»Sehr schön. Ja und?«
»Der Wind hat leicht geschralt während der ersten Wache, bläst jetzt aber wieder stetig aus Ostsüdost.«
Najera seufzte. »Steuermann Fernandez, wäret Ihr wohl so freundlich, mir zu sagen, was Ihr eigentlich wollt?«
»Jawohl, Capitan, mit Eurer Erlaubnis möchte ich auf den blonden Mann und auf seinen Freund zu sprechen kommen.« Der Leibschmerz hatte sich, trotz des Weins, wieder verstärkt. Najera bewegte unruhig seine Hände und verzog das Gesicht, bevor er einen weiteren, diesmal sehr großen Schluck nahm. Je mehr Madeira er trank, desto geringer wurde der Schmerz, das wusste er aus Erfahrung. Er bediente sich erneut. Noch ein, zwei Gläser, dann würde er beschwerdefrei der Auspeitschung beiwohnen können. »Von welchen Männern sprecht Ihr?«
»Von Vitus von Campodios und seinem Freund Ramiro Garcia, dem Magister der Jurisprudenz, Capitan. Beide haben sich auf meinen Befehl hin gestern Abend bei mir gemeldet. Ich wollte etwas mit ihnen besprechen ...« Er brach ab. »Ich weiß jetzt, welche Männer Ihr meint.«
Najeras Gesicht verschloss sich. »Ich höre.«
»Capitan, ich ... ich wollte Euch bitten, den beiden die Strafe zu erlassen.«
»Steuermann Fernandez!« Wie von der Tarantel gestochen schnellte Najera in die Höhe. »Wie kommt Ihr dazu, hinter meinem Rücken mit zwei Straffälligen zu konspirieren?«
»Capitan, ich habe dabei in erster Linie an das Schiff gedacht.« Fernandez reckte das Kinn. Er hatte sich vorgenommen, Najera um Straferlass zu bitten, und er würde so schnell nicht lockerlassen. »Vitus von Campodios ist Cirurgicus und Pharmakologe, und sein Freund arbeitet ihm als Assistent zu. Zwei Ärzte, Capitän, sind genau das, was wir brauchen, spätestens in NeuSpanien, wo überall das Fieber grassiert. Warum jemanden außer Gefecht setzen, wenn er uns nützlich sein kann!«
»Ich habe Auspeitschung befohlen, und dabei bleibt es.«
Eher fielen Mittag und Mitternacht zusammen, als dass er, Najera, einen Befehl zurücknahm. Er setzte sich wieder, griff zum Glas und - erstarrte mitten in der Bewegung. Der Schmerz hatte ihn angesprungen wie ein Tier. Hatte ihm die Zähne ins Gedärm geschlagen. Scharfund nadelspitz. Najera schwankte, das Glas entfiel seiner Hand. Röchelnd sank er, mit dem Kopf voran, zu Boden.
»Capitän!« Mit zwei großen Schritten war Fernandez heran. Der Kommandant lag neben dem Kartentisch, klein und krumm und stoßweise atmend. Der Steuermann überlegte nicht lange. »Jose!«, schrie er so laut, dass man ihn bis ins Orlopdeck hörte. »Schaff mir diesen Vitus herbei!«
»Ihr müsst Euch entspannen, Capitan. Versucht, gleichmäßig und langsam Luft zu holen.« Zusammen mit dem Magister kniete Vitus vor dem am Boden kauernden Najera. Fernandez stand an der Tür und verfolgte mit Argusaugen die Untersuchung. Er hatte dafür gesorgt, dass die Ereignisse sich nicht herumsprachen.
Vorsichtig drückte Vitus den Oberkörper des Kommandanten nach hinten. Najera, der jetzt ruhiger atmete, schien in dieser Position Erleichterung zu spüren. Vitus fühlte den Puls, der hart und schnell ging. Anschließend legte er seine Hand prüfend auf die Stirn. Sie war schweißnass. »Bitte steht auf, Capitan.«
Das Rollenspiel hatte sich gewandelt. Najera gehorchte ohne Einwände. Doch kaum hatte er sich aufgerichtet, verstärkte sich wieder die Qual. Abermals kam die Hand und half ihm. »Vergesst nicht, Euch zu entspannen, Capitän. Wenn Ihr gestattet, untersuche ich Euch jetzt.«
»Jaaa«, keuchte Najara.
Minutenlang tasteten Vitus' Hände mit aller Sorgfalt den Oberkörper ab, während der Magister den Kommandanten stützte. Die Bauchdecke war straff wie ein Trommelfell, aber an keiner Stelle ließ sich etwas Anormales erfühlen oder eine Geschwulst ertasten. Endlich ruhten Vitus' Finger dicht oberhalb der linken Leiste, dort, wo die Haut sich besonders unnachgiebig spannte. »Capitän, ich muss Euch einige Fragen stellen.«
Der Kommandant nickte matt.
»Die Fragen sind etwas, äh ... delikater Natur, aber wichtig für die Diagnose.«
»Schon ... schon recht.«
»Gut. Um Euch zu schonen, werde ich die Fragen so stellen, dass Ihr nur nicken oder den Kopf schütteln müsst. Ich nehme an, dass Ihr seit Tagen keinen Stuhlgang hattet.«
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