Der Wanderchirurg
Stein, den Ihr dort tragt: Er ist, glaube ich, von diesem Fadrique. Als er nicht zahlen wollte und Ihr ihm deshalb den Stein fortnahmt, kreischte er so etwas wie
»Nein, nicht meinen Geburtsstein! « Wisst Ihr, Herrin, was er damit gemeint haben könnte?«
»Ja.« Elvira lehnte sich zurück. »Ich verstehe einiges von Edelsteinen, das bringt mein Beruf mit sich.«
»Und was versteht man unter einem Geburtsstein, Herrin?«, hakte Martinez nach. Sein Auge wanderte von der Tischplatte zu den kleinen Schubfächern, die darunter lagen und Platz für Spielkarten und Würfel boten. Ihm war klar, dass ein Geheimfach keine normalen Spalten aufweisen würde, das widersprach der Natur der Sache.
»Es gibt Edelsteine, die den verschiedenen Sternzeichen zugeordnet werden«, erklärte Elvira. »Sternzeichen?«, gab sich Martinez verwundert. Die ihm zugewandte Seite des Tisches wies eine Reihe schmaler Schubladen auf, von denen jede mit einem bronzenen Beschlag versehen war, offenbar, um sie damit öffnen zu können. Auf seiner Seite, so viel stand fest, saß das Geheimfach nicht.
»Jeder Mensch ist in einem bestimmten Zeichen geboren. Der Monat, in dem man zur Welt kommt, bestimmt das Sternzeichen. Jemand, der zum Beispiel im März das Licht der Welt erblickt hat, wurde im Zeichen der Fische geboren. Der Edelstein, der den Fischen zugeordnet ist, heißt Amethyst. Der Amethyst ist deshalb der Geburtsstein der Fische-Geborenen. Ebenso wie der Bergkristall der Stein für die Löwen ist und der blutrote Karneol der Stein für die Skorpione. Man schreibt allen Geburtssteinen eine Schutzfunktion für seinen Träger zu.«
»Demnach müsste Fadrique im März geboren sein?«, fragte Martinez. Die beiden weiteren für ihn sichtbaren Seiten des Spieltisches sahen nicht viel anders aus. Das legte die Vermutung nahe, dass Elvira direkt vor ihrem Geheimfach saß. Natürlich! Sie hatte daraus das Säckchen mit dem Geld hervorgeholt.
»Ja, zufällig weiß ich, dass Fadrique im März Geburtstag hat. Doch weil auch ich im Zeichen der Fische geboren bin, kann ich den Amethyst genauso gut tragen. Vielleicht schenkt er mir mehr Schutz als Fadrique.«
Ja, vielleicht, dachte Martinez. Vielleicht aber auch nicht. Es kommt ganz darauf an, ob ich eine Gelegenheit erhalte, mir deine Geheimfachseite genauer anzuschauen.
»Dona Elvira, Dona Elvira!«, ertönte in diesem Augenblick ein Ruf von außen durchs Fenster. »Hört Ihr mich? Hier ist Alberto, der Gemüsehändler. Ich habe die bestellte Ware abgeladen und in Eure Küchenräume geschafft, aber Eure Köchin ist nicht da, um mich zu bezahlen! Dona Elvira, hört Ihr mich?«
»Ja doch!«, murrte Elvira und erhob sich. »Die Köchin hat Ausgang, die Gehilfinnen sind alle fort, um irgendwo eine Hochzeit zu feiern, und meine Mädchen schlafen natürlich noch. Die Einzige, die immer da ist, das bin ich.«
Sie schritt zum Fenster und lehnte sich hinaus. »Es ist gut, Alberto, ich komme hinunter und gebe dir dein Geld!«
»Danke, Dona Elvira!«
»Warte, bis ich zurück bin, Martinez. Es gibt da noch einen Punkt, den ich dir sagen muss.«
»Ja, gerne, Herrin.« Martinez konnte sein Glück kaum fassen. Kaum war Elvira fort, ging er um den Tisch herum und unterzog die vierte Seite einer eingehenden Untersuchung. Ein Geheimfach, überlegte er, war nicht sichtbar, es musste also genau dort sitzen, wo im Holz keine Spalten, Fugen oder Veränderungen zu entdecken waren. Er betrachtete jede einzelne Holzfaser auf das Genaueste. »Hier!«, entfuhr es ihm plötzlich. Er hatte zwei winzige Nähte im Holz entdeckt, feiner als ein Spinnenfaden. Dazwischen musste das Fach liegen. Geschickt drückte und zog er an verschieden Stellen. Plötzlich gab es einen leisen, knarzenden Laut, und die Lade sprang auf. Martinez erblickte in dem kleinen Fach einen kunstvoll bestickten Stoffbeutel, der prallvoll war. Er nahm ihn heraus und wog ihn in der Hand. Sein Auge glitzerte. Er fühlte schwere Münzen. Es mussten Dutzende sein. Die Zukunft sah rosig aus! Rasch drückte er die Lade wieder zu. Er beschloss, so schnell wie möglich zu verschwinden.
Martinez eilte, sein Bündel fest an die Brust gepresst, mit schnellen Schritten durch den Innenhof des maurischen Hauses zum Straßentor. Er blickte hinter sich, doch niemand folgte. Vorsichtig bog er in den Torweg und stand vor Elvira. Die Bordellbesitzerin runzelte unmutig die Stirn: »Ich hatte dir doch gesagt, dass ich noch einen wichtigen Punkt mit dir zu besprechen hätte.
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