Der Weg in Die Schatten
ungemein, daß du so empfindest, Porky. Und ich hatte schon gedacht, ich könnte dich vielleicht nicht dazu überreden, bei meinem nächsten Run mitzumachen …«
PAUL R. HUME
Blindgänger
Übersetzt von Christian Jentzsch
Der Tod kam aus dem Nichts. Vielleicht war er so schnell, wie er aussah, vielleicht auch nicht. Nur die Toten wissen es ganz genau, und die reden selten darüber.
Der Tote hatte an einem schäbigen Schreibtisch gesessen.
Seine Augen waren geschlossen, aber seine Finger huschten flink über die Tasten eines Laptops. Ein dünnes Kabel verband die Konsole mit einer Buchse in seiner Schläfe.
Die Hände kamen zur Ruhe, hingen mit leicht gekrümmten Fingern in der Luft. Er atmete mit einem langen Seufzer aus, der sich zu einem Zischen, und dann zu einem dünnen, tonlosen Schrei steigerte. Sein Rücken bog sich durch, als Muskeln verkrampften, und er verlor das Gleichgewicht und kippte mit dem Stuhl nach hinten. Durch das Verbindungskabel wurde die Konsole mitgerissen, und Mensch, Stuhl und Maschine gingen mit lautem Krachen zu Boden. Der Mann bäumte sich noch ein letztesmal auf, dann trat Ruhe ein.
Die Frau war beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten aufgesprungen, aber die Ereignisse entwickelten sich mit tödlicher Geschwindigkeit. Mit der einen Hand riß sie dem Mann das Kabel aus dem Kopf, während sie mit der anderen seinen Hals betastete. »Verdammt!« fluchte sie. »Ich kann keinen Puls fühlen!« Sie warf einen Blick auf das Cyberdeck und fluchte laut. Auf dem Schirm war nur sinnloses Zeug zu sehen: Datenfragmente, verstümmelte Grafiken, unsinnige Befehle. Als zwei Männer hereinstürmten und mit Wiederbelebungsversuchen begannen, wich sie zurück. Sie sah ihnen einen Augenblick zu, dann drehte sie sich um und verließ den Raum.
Auf dem schmuddeligen Flur sah sie nach links und rechts, bevor sie auf ihrem Taschentelefon eine fünfzehnziffrige Nummer wählte. Das Gerät piepste, während es die vorprogrammierte Verbindung herstellte. Die Stimme, die antwortete, sprach schnell und abgehackt. Der Mann am anderen Ende der Leitung hatte auf diesen Anruf gewartet, und Geduld zählte nicht zu seinen ohnehin wenigen Tugenden.
»Wie sieht es aus?«
»Wir haben’s versaut. Ihr Ice hat unseren Decker zermalmt.«
»Ihre Sicherheitsvorkehrungen sind also besser, als Sie gedacht haben. Und das Angriffsteam?«
»Ohne Decker, der die automatischen Verteidigungsanlagen aus dem Computer heraus neutralisiert, können sie sich glücklich schätzen, wenn sie von UniOils Sicherheit nicht abgeknallt werden«, antwortete sie.
»Sie haben keine Chance, das Ziel zu erreichen.«
»Richtig, richtig. Okay, wir werden etwas anderes versuchen müssen.« Eine Pause trat ein. Dann, entschlossen: »Brechen Sie diese verfahrene Chose ab! Schaffen Sie Ihre Leute zügig da raus! Morgen früh erstatten Sie mir Bericht.«
»Und das Angriffsteam?«
»Sie kannten die Gefahren, als sie den Auftrag übernommen haben. Setzen Sie sich sofort ab! Wenn wir uns das nächstemal treffen, will ich Vorschläge für einen neuen Versuch hören.«
»Mr. Cortez, nach diesem Lauf wird UniOils Sicherheit im Viereck springen. Daher kann ich nur nachdrücklich empfehlen, daß wir alle weiteren Schritte verschieben. In der nahen Zukunft ist jedes Unternehmen unsererseits zum Scheitern verurteilt.«
Die Stimme am Telefon troff vor Sarkasmus. »Ist das nicht einfach großartig? Erst wird dieser Run durch Ihre Unfähigkeit versaut, und jetzt kommen Sie mir auch noch mit dem Expertenrat, wir sollten den Schwanz einziehen wie geprügelte Hunde. Ich habe eine Neuigkeit für Sie, Süße! Wir brauchen das Material, und zwar sofort! Nicht irgendwann, sondern jetzt! Ich weiß , daß United Oil und Bobs Fuhrunternehmen an einem Deal arbeiten, der uns hier bei Natural Vat ziemlich weh tun wird. Mr. Yoshimura ist mit mir einer Meinung, braucht aber einen Beweis, um diese Idiotenhure Mirin zu überzeugen. Einiges deutete darauf hin, daß wir die benötigten Daten in UniOils Forschungsanlage drüben in Auburn finden. Ein Schlag gegen diese Anlage hätte eigentlich ein ganz normaler Shadowrun sein müssen, aber zu meinem verdammten Glück mußte mir die Industriespionage ja eine Schwachsinnige wie Sie als Mr. Johnson zuteilen. Ich will keine Entschuldigungen, ich will Ergebnisse. Es wäre besser, wenn Sie morgen früh einige Vorschläge auf Lager hätten, wie Sie diese Ergebnisse beschaffen wollen. Sie können
Weitere Kostenlose Bücher