Der Weg Nach Tanelorn
nicht getötet werden können. Aber er selbst glaubt nicht, dass das stimmt.«
Ilian zitterte. Sie fragte sich, weshalb sie dieses schreckliche Verlangen empfand, diese Frau in mehr als kameradschaftlicher Weise in ihre Arme zu schließen. Nie hatte sie etwas Ähnliches empfunden. Ihre Knie waren weich. Ohne zu überlegen, setzte sie sich auf das Bett.
»Schicksal«, murmelte sie. »Sie sagten mir, ich diene dem Schicksal. Wisst Ihr etwas davon, Yisselda von Brass? Ich kenne Euren Namen so gut – und auch Baron Kalans. Mir deucht, ich habe Euch gesucht – mein ganzes Leben nach Euch gesucht – und doch bin nicht ich es, der es tat. Oh …« Ilian fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Sie presste die Hände aufs Gesicht. »Es ist schrecklich!«
»Ich verstehe Euch. Kalan ist der Meinung, dass seine Experimente mit den Krümmungen der Zeit diese Situation herbeigeführt haben. Unsere Leben sind irgendwie verwirrt. Eine Wahrscheinlichkeit schneidet sich mit der anderen. Unter diesen Umständen ist es vielleicht sogar möglich, sich selbst zu begegnen.«
»Kalan ist dafür verantwortlich, dass Ymryl und die anderen hierherkamen?«
»Das nimmt er jedenfalls an. Er verbringt seine ganze Zeit damit, das von ihm zerstörte Gleichgewicht wiederherzustellen. Und ich bin ihm für seine Experimente sehr wichtig. Er hat kein Bedürfnis danach, morgen mit Ymryl in den Kampf zu ziehen.«
»Morgen? Kampf gegen wen?«
»Gegen Arnald von Grovent im Westen, wenn ich es richtig verstanden habe.«
»Ah, dann ist es also soweit!« Ilian vergaß im Augenblick alles andere. Sie war begeistert. Ihre Chance kam schneller, als sie zu hoffen gewagt hatte.
»Baron Kalan ist Ymryls Maskotte, sozusagen.« Yisselda hatte von irgendwo einen Kamm zum Vorschein gebracht und versuchte, ihr verfilztes Haar in Ordnung zu bringen. »Genau wie ich seine bin. Ich verdanke mein Leben nur einer Kette von Aberglauben.«
»Und wo ist Kalan jetzt?«
»Zweifellos in Ymryls Palast – Eures Vaters Palast, nicht wahr?«
»Unser Haus, ja. Was macht er dort?«
»Er experimentiert. Ymryl hat ihm dort ein Laboratorium eingerichtet, obgleich Kalan es vorzieht, hier zu arbeiten. Er setzt mich dann neben sich und spricht zu mir, als wäre ich ein Schoßhündchen. Ansonsten kümmert er sich kaum um mich. Es ist wohl unnötig, zu erwähnen, dass ich nicht viel von dem verstehe, was er erzählt. Ich war jedoch dabei, als er Eure Seele stahl. Es war grauenvoll! Wie habt Ihr sie nur zurückgewonnen?«
Ilian antwortete nicht darauf. »Wie hat er es getan? Wie hat er sie – gestohlen?«
»Mit einem Juwel, ähnlich dem, das Falkenmonds Geist zu verzehren drohte, als es in seine Stirn gebettet war. Nun, jedenfalls ein Edelstein mit ähnlichen Eigenschaften …«
»Falkenmond? Der Name …«
»Ja? Kennt Ihr ihn? Wie geht es ihm? Aber er ist doch gewiss nicht in dieser Welt? Oder doch?«
»Nein – nein. Ich kenne ihn nicht. Ich wüsste auch nicht woher. Und doch klingt dieser Name so vertraut.«
»Ihr fühlt Euch nicht wohl, Ilian von Garathorm?«
»Ich – ich weiß nicht.« Ilian war, als würde sie nun doch in Ohnmacht fallen. Zweifellos hatten die Anstrengungen und Aufregungen, Ymryls Soldaten zu entkommen, sie doch mehr mitgenommen, als ihr zuerst bewusst gewesen war. Sie bemühte sich, nicht einfach umzukippen. »Dieses Juwel«, fragte sie. »Hat Kalan es? Und er glaubt, meine Seele befände sich in ihm?«
»Ja. Aber er täuscht sich ganz offensichtlich. Irgendwie wurde sie daraus befreit.«
»Offensichtlich.« Ilian lächelte grimmig. »Auf jeden Fall müssen wir uns nun einen Fluchtweg überlegen. Ihr seht mir nicht kräftig genug aus, von Dach zu Dach mit mir zu springen und durch die Bäume zu klettern.«
»Ich könnte es versuchen«, meinte Yisselda. »Ich bin stärker, als ich aussehe.«
»Gut, dann wollen wir es versuchen. Wann rechnet Ihr mit Kalans Rückkehr?«
»Er hat das Haus erst vor kurzem verlassen.«
»Dann haben wir also Zeit. Ich werde sie nutzen, mich ein wenig auszuruhen. Mein Kopf tut so weh.«
Yisselda streckte die Hände aus, um Ilians Schläfen zu massieren, aber Ilian wich zurück. »Nein!« Sie benetzte die trockenen Lippen. »Nein. Aber ich danke Euch für Euren guten Willen.«
Yisselda trat an das geschlossene Fenster und öffnete vorsichtig den Laden einen Spalt. In tiefen Zügen atmete sie die kühle Nachtluft.
»Kalan soll Ymryl helfen, sich mit seinem finsteren Gott, diesem Arioch, in Verbindung zu setzen.«
»Den
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