Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
hatte. Wegen meines Wunsches, zu jemand anderem gehören zu wollen, zerstörte ich die Liebe, die ich eigentlich für Jake empfand.«
Tony brauchte einen Moment, um sich wieder zu sammeln, und Maggie wartete. Sie wünschte sich, diesen kleinen, verlorenen Jungen in ihre Arme nehmen zu können.
»Ein paar Wochen später versammelt sich die Familie, und sie sagen, dass sie mit mir sprechen möchten. Sie teilen mir mit, dass sie eine große Entscheidung getroffen haben: Sie wollen ein Kind adoptieren. Aber sie haben sich nicht für mich entschieden. Deshalb werde der Betreuer des Jugendamtes mich noch am gleichen Tag abholen und mich zu einer anderen ›wundervollen‹ Familie bringen, die sich schon darauf freuen würde, mich bei sich aufzunehmen. Ich hatte geglaubt, schon zu wissen, wie es ist, sich allein zu fühlen, aber das war eine völlig neue Art von Verlust.
Maggie, ich hätte mich um Jake kümmern müssen, vor allem, weil er ja sonst niemanden hatte. Ich bin sein älterer Bruder. Er hat mir völlig vertraut, aber ich habe versagt, schlimmer noch: Ich habe ihn verraten.«
»Oh, Tony«, sagte Maggie, »das tut mir so leid. Tony, du warst doch selbst noch ein Kind. Es macht mich so traurig, dass du in diesem Alter schon gezwungen wurdest, solche Entscheidungen zu treffen.«
»Und dann kommt Gabe in mein Leben. Zum ersten Mal halte ich einen Menschen in den Armen, der zu mir gehört. Bei diesem kleinen Jungen versuchte ich, alles richtig zu machen, aber auch ihn habe ich verloren. Angela hatte keine Chance. Ich hatte solche Angst, sie zu verlieren, dass ich noch nicht einmal wagte, sie richtig in den Arm zu nehmen, und dann Loree …«
Er hatte sich alles von der Seele geredet, und nun hingen seine Worte in der Luft wie Morgennebel, der unerwartete Seufzer eines Herzens, das durch dieses Geständnis befreit wurde und leise zu jubeln begann.
Ein weiteres Schweigen folgte, während dessen beide durch lange aufgestaute Gefühle wateten. Schließlich holte Tony tief Luft und atmete aus. »Hast du die kleine blaue Schachtel?«
»Natürlich.« Maggie holte sie aus ihrer Handtasche.
»Ich möchte, dass du sie Jake gibst. Es ist das Einzige, was ich noch von unserer Mutter besitze. Sie schenkte es mir nur wenige Tage bevor sie starb, fast als hätte sie geahnt, dass sie uns verlassen würde. Sie sagte mir, ich sollte es eines Tages der Frau schenken, die ich liebe, aber ich war nie gesund genug, um wirklich lieben zu können. Ich sehe aber, dass Jake diese Fähigkeit zu wahrer Liebe in sich trägt. Vielleicht kann er es eines Tages der Frau schenken, die er liebt.«
Maggie öffnete die Schachtel vorsichtig. Eine kleine Goldkette mit einem schlichten Goldkreuz lag darin. »Das ist wirklich schön, Tony. Ich gebe es Jake, versprochen. Und ich hoffe, er wird es eines Tages Molly um den Hals hängen. Wollte ich nur mal so gesagt haben.«
»Ja, das hoffe ich auch«, sagte Tony mit einem Lächeln. »Meinen Segen haben die beiden auf jeden Fall.«
»Und die dritte Sache?«
»Das ist das Wichtigste. Und wahrscheinlich fällt es mir am schwersten, das zu jemandem zu sagen. Maggie, ich liebe dich! Ich liebe dich wirklich.«
»Ich weiß, Tony. Ich liebe dich auch. Mist, wozu habe ich heute überhaupt Make-up aufgelegt?!«
»Okay, dann lass uns die Sache nicht noch schwerer machen. Gib mir einen Abschiedskuss, und dann geh nach draußen zu unserer Familie.«
»Du wolltest doch wissen, worüber du und Jake und eure Eltern auf dem Foto gelacht habt.«
Er lachte. »Natürlich!«
»Sonderbar, dass du dich nicht daran erinnerst. Eure Mutter hatte sich versehentlich Salz statt Zucker in den Kaffee geschüttet. Sie nahm einen Schluck und spuckte ihn, sehr undamenhaft, in hohem Bogen wieder aus – genau auf das Kleid einer piekfein herausgeputzten Frau am Nebentisch. Jake kann es besser erzählen als ich, aber ich denke, jetzt hast du eine Vorstellung davon.«
»Ja, ich erinnere mich«, lachte Tony. »Ich erinnere mich, wie lustig es war und wie froh und gut gelaunt wir alle an diesem Tag waren! Wie konnte ich es vergessen? Zumal …«
»Lebe wohl, mein Freund«, flüsterte Maggie. Tränenüberströmt beugte sie sich über den Mann im Bett und küsste ihn auf die Stirn. »Wir werden uns wiedersehen.«
Tony glitt ein letztes Mal davon.
20
JETZT
»Alles, was wir sehen, ist ein Schatten,
der von dem geworfen wird, was wir nicht sehen.«
Martin Luther King, Jr.
D ie drei standen auf dem Hügel über dem Tal. Es war
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