Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
wie Papierfetzen. War das nun das Ende? Hörte er bereits, wie die Leere ächzend herankroch, ein alles verschlingendes Nichts, das ihm den letzten Rest Lebenswärme aussaugen würde?
Er zitterte unkontrolliert, als ein Licht erschien, ein bläuliches Leuchten. Es umgab die schönsten dunkelbraunen Augen, die Tony jemals gesehen hatte. Das Licht erinnerte ihn an jemanden, aber er wusste nicht, an wen. Es musste jemand Wichtiges sein.
Tony kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben, und schaffte es, eine Frage zu formulieren: »Wer bin ich, nein, warte, wo bin ich?«
Ein Mann saß bei ihm und wiegte Tony in seinen Armen. Sorgsam goss er ihm eine andere, wärmere Flüssigkeit in den Mund. Tony schluckte und spürte, wie die Flüssigkeit seine halb erfrorene Mitte wärmte und sich von dort in ihm ausbreitete. Sein Zittern ließ nach, hörte dann auf, und er entspannte sich in den Armen des Mannes.
»Du bist in Sicherheit«, flüsterte der Mann und streichelte ihm über den Kopf. »Du bist in Sicherheit, Tony.«
»Sicher?« Wieder umfing ihn Dunkelheit. Seine Augen wurden schwer, sein Denken dickflüssig und langsam. »Ich war niemals in Sicherheit.«
»Schschsch.« Wieder diese Stimme. »Ruhe dich jetzt ein wenig aus. Ich bleibe bei dir. Ich werde dich immer halten, Tony.«
»Wer bist du?«
Falls der Mann antwortete, hörte Tony es nicht mehr, denn wie eine Decke umfing ihn die Nacht, hüllte ihn in eine sanfte Liebkosung. Er schlief behütet, ohne Traum und sogar ohne Wunschdenken.
4
ZUHAUSE IST, WO DAS HERZ IST
»Wie jeder Mensch sehne ich mich danach,
dort zu Hause zu sein, wo ich mich gerade befinde.«
Maya Angelou
S onnenlicht?
Wieder schien die Sonne, aber diesmal war es anders, gedämpfter und weicher. Tony setzte sich mit einem Ruck auf. Wo war er? Alle Eindrücke standen ihm frisch und lebendig vor Augen: der Tunnel, die Pfade mit ihren Myriaden Verzweigungen, das Tor, der Ire Jack, der andere Mann.
Der andere Mann? Das war das Letzte, woran er sich erinnerte. Träumte er immer noch? Befand er sich in einem Traum innerhalb eines Traumes? Er hatte geschlafen oder geträumt, er hätte geschlafen. Die Sonne schien durch Vorhänge, und es war hell genug für ihn, um zu sehen, dass er in einem behelfsmäßig ausgestatteten Schlafzimmer aufgewacht war. Eine dünne Matratze lag auf einem altersschwachen Sprungfederrahmen. Die Decke, unter der er geschlafen hatte, war ziemlich verschlissen und verblichen, aber sauber.
Tony zog die Vorhänge zurück und sah draußen die gleiche Landschaft sich ausbreiten, die er von dem Tor aus hinter der Schanzmauer gesehen hatte. Wann war das gewesen? Am vorigen Abend, gestern oder niemals? In der Ferne ragten Mauern auf, und innerhalb dieser Schutzwälle lagen terrassierte Freiflächen, eine Art Landgut. Hier und da standen Bäume, manchmal zu kleinen Wäldchen gruppiert, manchmal einzeln. Ein paar Gebäude gab es hier und da. Die meisten standen für sich allein und waren wenig bemerkenswert.
Es klopfte an der Tür. Dreimaliges Klopfen. Tony stützte sich an der Wand ab und bereitete sich innerlich auf einen erneuten plötzlichen Wechsel zwischen drinnen und draußen vor.
»Herein?« Es kam ihm mehr als Frage denn Einladung über die Lippen, aber das schien keine Rolle zu spielen.
»Würdest du die Tür für mich öffnen?«, ertönte draußen eine vage vertraute Stimme. »Ich habe keine Hand frei.«
»Oh, natürlich, Entschuldigung.« Tony zog die Tür nach innen auf.
Da stand der Fremde mit den durchdringenden braunen Augen, und plötzlich erinnerte sich Tony: »Du bist in Sicherheit.« Das hatte der Mann gesagt. Es war eine große Erleichterung gewesen, aber nun fand Tony es erstaunlich und verwirrend.
»Darf ich hereinkommen?« Der Mann lächelte. Er schien ungefähr in Tonys Alter zu sein und trug ein Tablett mit Kaffee und süßem Gebäck. Die bronzefarbene Haut des Mannes, der mit Jeans und einem Holzfällerhemd bekleidet war, wirkte wettergegerbt.
Tony bemerkte plötzlich, dass er selbst ein blau-weißes OP-Hemd trug, und zwar, wie er an einem kühlen Luftzug bemerkte, hinten offen. Er fand das verstörend und seltsam unpassend. Er fühlte sich nackt und raffte das Hemd mit einer Hand zusammen, um die Öffnung so gut wie möglich zu schließen. »Natürlich. Entschuldigung.« Er trat einen Schritt zur Seite und hielt dem Mann die Tür auf, sodass er das Zimmer betreten konnte.
»Ich habe ein paar deiner Lieblingsleckereien mitgebracht. Kaffee von
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