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Der Weihnachtsfluch - Roman

Der Weihnachtsfluch - Roman

Titel: Der Weihnachtsfluch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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geschickt, damit sie ein wenig schläft«, sagte Susannah lächelnd, während sie den Tee einschenkte. Für jede eine Tasse. »Der Toast ist für dich«, fügte sie noch hinzu. »Daniel hat noch etwas gegessen und ist dann wieder eingeschlafen, aber als ich
nach ihm sah, schien er sehr unruhig zu sein. Sicher hat er Alpträume.«
    »Die wird er wohl noch jahrelang haben.« Emily nippte an dem Tee und nahm eine Scheibe knusprigen Toast mit Butter darauf. »Jetzt ist mir auch klar, warum alle den Sturm so gefürchtet haben.«
    Susannah blickte sofort auf, lächelte dann, sagte aber nichts.
    »Kommen diese Stürme häufig?«
    Susannah wandte sich ab. »Nein, gar nicht oft. Fühlst du dich gut genug, um zum Laden zu gehen und Lebensmittel zu besorgen? Wir brauchen ein paar Sachen, jetzt, wo eine weitere Person im Haus ist.«
    »Natürlich«, erklärte sich Emily sogleich bereit. »Aber er wird ja nicht lange bleiben, oder etwa doch?«
    »Ich weiß nicht. Stört er dich?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    Später jedoch, als Emily an der Küste entlang zum Dorf ging, fragte sie sich doch, warum Susannah dachte, der junge Mann würde länger bleiben. Er würde sicherlich, sobald er sich genügend ausgeruht hatte, nach Galway aufbrechen wollen, um seiner Familie Bescheid zu sagen, und den Leuten, denen das Schiff gehörte. Mit etwas mehr Ruhe käme auch sein Gedächtnis wieder, und er würde unbedingt gehen wollen.
    Sie hatte den kurzen Anstieg zur Küste hinter sich und blickte auf das aufgewühlte, schäumende Meer. Die Wellen, die durch den abflauenden Wind nicht mehr ganz so hoch, aber immer noch riesig waren, tosten mit bedrohlicher Geschwindigkeit an die Küste in das Seegras,
schluckten den Sand und spuckten ihn wieder aus. Die See war von einer gleichmäßig grauen Farbe, wie geschmolzenes Blei, und wirkte auch genauso massiv.
    Im Laden traf Emily Mary Donnelly und Kathleen Molloy an. Als sie eintrat, hörten die beiden auf, sich zu unterhalten.
    »Na, wie geht es Ihnen?«, fragte Kathleen lächelnd, so als ob Emily jetzt, wo sie den Sturm miterlebt hatte, schon fest zum Dorf gehörte.
    Mary schickte Kathleen einen hastigen, verstohlenen Blick und wandte sich dann Emily zu, als hätte der Blickkontakt gar nicht stattgefunden. »Nach der letzten Nacht sind Sie sicher müde. Wie geht es dem jungen Seemann? Armer Kerl.«
    »Er ist erschöpft«, antwortete Emily. »Aber er hat gefrühstückt, und ich denke, er wird sich bis morgen gut erholt haben. Zumindest körperlich. Es wird sicher lange dauern, bis er die Angst und die Trauer überwindet.«
    »Er ist also nicht schwer verletzt?«, wollte Kathleen wissen.
    »Prellungen, soweit ich das beurteilen kann«, erwiderte Emily.
    »Und wer ist er?«, fragte Mary leise.
    Plötzlich war es ganz still im Laden. Mr. Yorke kam gerade herein, blieb aber regungslos an der Tür stehen. Er sah Kathleen an, dann Mary. Keine der beiden sah zu ihm hin.
    »Daniel«, gab Emily zur Antwort. »Es sieht so aus, als ob er seinen Nachnamen vergessen hat. Im Augenblick jedenfalls.«

    Mary Donnelly ließ das Glas mit den Essigzwiebeln fallen, und es zerbarst in tausend Splitter. Alle standen wie versteinert da.
    Mr. Yorke trat nun in den Laden hinein und ging zu dem zerbrochenen Glas. »Kann ich irgendwie helfen?«, bot er an.
    Mary erwachte wieder zu Leben. »Oh, wie ungeschickt von mir. Es tut mir leid.« Sie bückte sich, um Mr. Yorke zur Hand zu gehen. Noch ganz durcheinander stieß sie mit ihm zusammen. »Was für ein Missgeschick!«
    Emily wartete; es gab nichts, was sie hätte tun können. Als alles aufgewischt war, wurden die Zwiebeln und das zerbrochene Glas in den Mülleimer befördert, und es blieben nunmehr keinerlei Spuren übrig, außer einem nassen Flecken auf dem Boden und dem Essiggeruch in der Luft. Mary arbeitete Emilys Einkaufsliste ab und legte alles in ihre Einkaufstasche. Keiner erwähnte mehr den jungen Mann aus dem Meer. Emily bedankte sich und ging in den Wind hinaus. Einmal noch blickte sie zurück, sah, wie sie zusammenstanden und mit bleichen Gesichtern hinter ihr herschauten.
    Sie ging an der Küste entlang zurück. Die Flut zog sich zurück und hinterließ einen Streifen nassen harten Sand, der hier und dort mit Algen bedeckt war, die aus dem Meeresboden herausgerissen und von den Wellen hierhin gespült worden waren. Sie sah Holzstücke, auseinandergebrochenes, ausgefranstes Holz, und sie fröstelte. Sie wusste nicht, ob es von dem untergegangenen Schiff stammte,

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