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Der Weihnachtsfluch - Roman

Der Weihnachtsfluch - Roman

Titel: Der Weihnachtsfluch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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wird. Da stimmt etwas nicht im Dorf. Was ist es? Warum wollte Susannah wirklich, dass ich komme? Und sagen Sie mir bloß nicht, dass Weihnachten ein Familienfest ist. Susannah hatte sich weitgehend von der Familie gelöst. Sie liebte Hugo Ross, vielleicht auch diesen Ort und die Leute hier. Hier war sie so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Es muss einen anderen Grund haben, dass sie mich hier haben wollte. Was ist los?«
    Sein Gesicht war voller Mitleid. »Ich weiß, meine Gute. Aber sie verlangt zu viel von Ihnen. Das kann niemand erfüllen.«
    Sie presste ihre Finger noch fester in seinen Arm. »Was, Father? Wenn ich nicht weiß, was los ist, kann ich es ja nicht mal versuchen.«
    Er seufzte tief auf. »Vor sieben Jahren gab es schon mal so einen Sturm wie diesen. Draußen in der Bucht war ein Schiff in Seenot geraten. Auch dieses Schiff versuchte, sich nach Galway durchzukämpfen. Auch in jener Nacht gab es nur einen Überlebenden, einen jungen Mann namens Connor Riordan. Er wurde halbtot an Land gespült, und wir nahmen ihn bei uns auf und pflegten ihn. Es passierte auch zu dieser Jahreszeit, ein paar Wochen vor Weihnachten.« Er blinzelte heftig, so als ob der Wind in seine Augen wehte, er stand allerdings mit dem Rücken zum Wind.
    »Und?«, fragte sie prompt. »Was geschah mit ihm?« »Das Wetter war sehr schlecht«, erzählte Father Tyndale
weiter. Er klang, als ob er zu sich selbst, nicht nur zu ihr sprach. »Er war ein gut aussehender junger Mann, Daniel nicht unähnlich. Schwarzes Haar, dunkle Augen, und etwas verträumt. Schnelle Auffassungsgabe, interessierte sich für alles. Und er konnte singen - und wie er singen konnte. Traurige Lieder, viele Halbtöne, ganz besonderer Takt. Voller Sehnsucht. Er fand Freunde hier. Alle mochten ihn - zunächst einmal.«
    Emily verspürte ein Frösteln, unterbrach ihn aber nicht.
    »Er stellte immerzu Fragen«, fuhr Father Tyndale fort. »Tiefgründige Fragen über Moral und Glauben, und was und wer man eigentlich war. Das war nicht immer angenehm.« Er blickte zum Himmel auf, wo die Wolkenfetzen vorbeizogen. »Er brachte Unruhe in die Träume und auch in die Gedanken. Er ließ die Leute die dunklen Seiten sehen, für die sie noch nicht bereit waren.«
    »Und dann ging er fort?«, fragte sie und versuchte das tragische Geschehen in seinem Gesicht zu lesen. »Warum auch nicht? Da ist doch nichts Schlechtes dran, oder? Er kehrte nach Hause zurück und fuhr mit einem anderen Schiff wieder zur See.«
    »Nein«, sagte Father Tyndale so leise, dass der Wind seine Worte beinahe verschluckte. »Nein, er ging nie fort.«
    Die Angst, die in ihr aufstieg, schien sie zu erdrücken. »Was soll das heißen? Er ist also noch hier?«
    »In gewisser Hinsicht, ja.« »In … in welcher Hinsicht denn?« Jetzt, wo sie die
Frage gestellt hatte, wollte sie die Antwort gar nicht hören. Zu spät.
    »Dort hinten«, er hob den Arm. »Draußen, an der Landspitze, ist er begraben. Wir werden ihn niemals vergessen. Wir haben es versucht, und es ist uns nicht gelungen.«
    »Seine Familie … ist seine Familie denn nicht gekommen, um die Leiche zu holen?«
    »Niemand wusste, dass er hier war«, sagte Father Tyndale nur. »Eines Nachts kam er aus dem Meer, als alle anderen armen Kerle auf dem Schiff verschollen waren. Es war Winter mit schweren Winden und Regengüssen. In diesen Wochen ist niemand von außerhalb ins Dorf gekommen, und wir wussten nichts von ihm, außer seinen Namen.«
    Die Kälte machte sich in ihrem Inneren breit, hässlich und schmerzhaft. »Wie ist er ums Leben gekommen, Father?«
    »Er ist ertrunken«, antwortete er. In seinem Gesicht stand der blanke Schrecken, so schrecklich, dass er es nicht zulassen konnte, dass er es nicht aussprechen konnte.
    Emily hatte nur einen Gedanken, aber auch sie würde ihn nicht aussprechen. Connor Riordan war ermordet worden. Das Dorf wusste Bescheid, und das Geheimnis hatte sie alle über die letzten Jahre vergiftet.
    »Wer?«, fragte sie leise.
    Er konnte sie bei dem Wind unmöglich verstanden haben. Er las ihre Lippen und ihre Gedanken. Nur das konnte jemand jetzt fragen.

    »Ich weiß es nicht«, sagte er hilflos. »Ich bin der geistige Vater dieser Leute. Ich soll sie lieben, ihnen Halt geben, sie in ihrem Gram trösten, ihre Wunden heilen und ihnen ihre Sünden vergeben. Und ich weiß es nicht!« Seine Stimme fiel und hörte sich heiser an; es schmerzte, sie zu hören. »Seither frage ich mich jede Nacht, wie ich solchem Hass, solchen

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