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Der Weihnachtspullover

Der Weihnachtspullover

Titel: Der Weihnachtspullover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Beck
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zu versuchen, weil es wahrscheinlich kaum hörbar gewesen war. Doch dann vernahm ich mit einem Mal eine liebenswürdige Stimme hinter mir.
    »Hallo, Eddie.«
    Eigentlich hätte ich erschrecken müssen, doch das tat ich nicht. »Hallo, Russell.«
    »Ich wollte gerade Pause machen. Komm mit und setz dich eine Weile zu mir.«
    Er führte mich durch das hohe, vertrocknete Gras zu einem großen Baum, unter dem eine Parkbank stand – eine echte Parkbank. Man konnte immer noch eine verblasste Werbung für die Gelben Seiten darauf erkennen.
    »Versteigerung«, sagte er und beantwortete damit meine ungestellte Frage. »Ich komme immer hierher, um nachzudenken.« Er lächelte. »Jeder braucht einen Platz, andem er in Ruhe nachdenken kann. Stille ist wichtig. Es ist die einzige Zeit, in der man das Flüstern der Wahrheit zu hören vermag.«
    Ich war mir nicht sicher, was ich darauf erwidern sollte, daher blieb ich stumm.
    Russell holte tief Luft und stieß den Atem langsam wieder aus. »Es ist schon seltsam«, fuhr er mit kaum hörbarer Stimme fort, »wie viele Menschen nur die Oberfläche betrachten und niemals über die tiefere Bedeutung der Dinge nachdenken. Wahrscheinlich ist es leichter so, denn wenn man lediglich einen Blick auf die Oberfläche wirft, macht man den Erstbesten für die eigenen Pro bleme verantwortlich – und das ist man niemals selbst.« Er verstummte für einen Moment, als wolle er damit die Bedeutung des Gesagten hervorheben. »Vielleicht empfinden die Menschen Stille deshalb als etwas Unbehagliches. Stille bringt einen zum Nachdenken, und beim Nachdenken begreifen wir, dass nicht alle Probleme von anderen verursacht werden.«
    Russell hatte seine Augen geschlossen. Ich war mir sicher, dass er gut und gern einen ganzen Monat lang schweigend hier sitzen würde, wenn ich darauf wartete, dass er wieder ein Wort sagte. Es war eine peinliche Stille, die mir unangenehm war. »Haben Sie denn gar keine Angst, dass Ihr Pferd weglaufen könnte?«, fragte ich. »Der kaputte Zaun wird es bestimmt nicht aufhalten.«
    Russell hielt seine Augen geschlossen, während er über meine Frage nachdachte. »Wenn man ein Tier richtig behandelt, läuft es auch nicht weg. Tiere sind nicht wie wir. Sie laufen vor Menschen davon, denen sie nicht vertrauen, während wir die meiste Zeit vor uns selbst davon laufen.«
    Wieder herrschte Stille.
    »Ich glaube, meine Arbeit mit dem alten Mädchen hier ist beinahe getan«, fuhr Russell fort. »Die Stute scheint sich jetzt wieder ziemlich gut daran zu erinnern, wer sie ist. Und sie ist glücklich. Da bleibt mir nicht viel mehr zu tun. Ich werde ihr wohl noch ein paar weitere Tage schenken, und dann mache ich mich wieder auf den Weg.«
    Das war wieder mal typisch, dachte ich bei mir. Jeder, der mir jemals nahegestanden hatte, war fort. Warum sollte das mit Russell anders sein?
    Er hob den Kopf und blickte mir tief in die Augen. Ich hatte das Gefühl, als würde er mich mit diesem Blick durchdringen. »Was kann ich für dich tun, Eddie?«
    »Nichts. Ich wollte nur mal hallo sagen.« Das Lügen ging mir langsam in Fleisch und Blut über.
    Russell senkte den Kopf wieder und hob einen kleinen Stock auf, der zwischen seinen Füßen lag. »Weißt du, Eddie, manchmal verheddern wir uns derart in unserem Leben, dass wir das Offensichtliche übersehen. Wir verfangen uns in unseren eigenen Problemen, sodass wir die meiste Zeit überhaupt nicht sehen, was –«
    Ich ahnte bereits, was er sagen wollte, und beendete den Satz für ihn: »Direkt vor unserer Nase ist?«
    »Genau. Wir sehen nicht, was uns am nächsten ist. Du kennst doch bestimmt die alte Redensart ›Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht‹, oder? Du bist im Wald, Eddie, aber du bist zu nahe an den Bäumen, um es zu erkennen. Vielleicht solltest du einmal einen Schritt zurücktreten, um das große Ganze besser zu sehen.«
    Ich nickte zustimmend mit dem Kopf. Ich hatte gewusst, dass Russell es verstehen würde. Er schien bereits genau zu wissen, was ich vorhatte, denn mein Plan war, das große Ganze zu sehen, indem ich versuchte, so weit wie nur eben möglich von dieser gottverlassenen Straße wegzukommen.
    Russell fuhr fort. »Weißt du, wir bestehen alle aus zwei Teilen. Da ist der Teil, der denkt , und da ist der Teil, der fühlt . Für gewöhnlich arbeiten die beiden Teile zusammen, und alles ist gut, aber manchmal trifft uns das Leben in all seiner Härte, und ein Teil prescht vor. Ich werde dir einmal ein Beispiel geben: Du

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