Der Weihnachtspullover
.«
Dads Gesicht glühte wieder, aber dieses Mal war es unter dem hellen Licht in seinem Zimmer im Krankenhaus. Er wirkte so müde und gebrechlich. Ein dunkler Blitz traf mich, und ich war mit einem Mal bei seiner Beerdigung. Mög er ratend ob euch walten, euch bei seiner Herd’ erhalten! Gott mit euch, bis wir uns wiedersehn!
Sosehr ich mich auch bemühte, ich vermochte nichts zu fühlen. Da war nur diese Gedankenflut. Eine Welle nach der anderen, eine Erinnerung nach der anderen.
Ich konnte nicht mehr dagegen ankämpfen – es kam mir alles so erdrückend vor. Ich bin nicht der, der ich bin.
Also ließ ich es bleiben. Russell hatte mir den Rücken zugekehrt. Die Stute fraß ihm vorsichtig aus der Hand. »Du hast eine so aussichtsvolle Zukunft«, sagte er. »Du musst nur daran glauben.«
»Ich glaube, es wird Zeit für mich, nach Hause zu gehen.«
Russell drehte sich um. »Dem kann ich nur beipflichten, Eddie. Dem kann ich nur beipflichten.«
Dieses Mal erzählte ich Großvater nichts über Russell. Es spielte keine Rolle. Wir sprachen nur noch miteinander, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Er hatte entschieden, dass alles, was ich tat, selbstsüchtig und berechnend war, und sein wachsendes Misstrauen verschaffte mir die Entschuldigung, die ich benötigte, um der verbitterte und respektlose Dreizehnjährige zu sein, von dem ich langsam glaubte, dass ich es wirklich war.
Anstatt eine normale, glückliche Beziehung vorzutäuschen, setzten wir einen scheußlichen Kreislauf in Bewegung, dem alles Gute in unserem Heim zum Opfer fiel.
Großmutter hatte Besseres verdient.
Großvater war nicht etwa gemein zu mir – er beendete einfach seine Versuche, freundlich zu mir zu sein. Vielleicht wartete er lediglich darauf, dass ich erwachsen wurde, oder vielleicht hatte er auch einfach nur die Nase voll von allem – aber egal, welchen Grund er auch gehabt haben mochte, Großvater reagierte auf meine ständigen Beleidigungen mit Gleichgültigkeit. Harsche Worte und Beschränkungen von Privilegien waren für solche Gelegenheiten reserviert, wenn ich die Regeln brach oder die Grenze überschritt, indem ich meine Wut an meiner Großmutter ausließ.
Da ich zu Hause kein Verständnis fand, suchte ich es stattdessen bei den Ashtons. »Ich kann nicht mehr längerauf der Farm bleiben«, sagte ich eines Tages beim Mittagessen in der Schule zu Taylor.
»Wo willst du denn hin?«, fragte er, genau wie ich es mir erhofft hatte.
»Ich brauche bloß mal eine Pause, etwas Abstand, vielleicht würde sich dann alles wieder einrenken.«
»Lass uns mal mit meinen Eltern reden«, bot er mir an. Endlich, dachte ich.
Kapitel 13
ie Weihnachtsferien begannen in diesem Jahr zehn Tage vor dem Fest. Großvater war ein wenig später als üblich zu seinem alljährlichen dreitätigen Jagdausflug gestartet, aber schließlich war es so weit, und ich bekam endlich die perfekte Gelegenheit, meinen Plan in die Tat umzusetzen.
»Grandma, hättest du etwas dagegen, wenn ich für ein paar Tage bei Taylor übernachte? Seine Eltern haben schon ihre Zustimmung gegeben.« Großvater hätte es mir nie erlaubt, aber Großmutter konnte mir nichts abschlagen. Sie glaubte fälschlicherweise immer noch, dass ich zu »retten« war, und das setzte ich schamlos gegen sie ein.
Zu meiner Überraschung antwortete sie nicht sogleich, und ich begann mir schon Sorgen zu machen, dass ich sie falsch eingeschätzt haben könnte.
»Grandpa wäre damit zwar nicht einverstanden, aber ich vertraue dir, Eddie.« Sie blickte mir tief in die Augen und fügte hinzu: »Ich weiß, dass du in deinem Innersten ein guter Junge bist. Es ist in Ordnung, wenn es sich nurum ein paar Nächte handelt.« Puuh. Ich stieß im Stillen einen Seufzer der Erleichterung aus.
Ich rannte in mein Zimmer hinauf, öffnete das Fenster und hievte den Seesack, den ich aus der Scheune gestohlen hatte, auf das Fenstersims. Darin befand sich beinahe mein ganzer Besitz und dazu noch einige Dinge, die mir eigentlich nicht gehörten. Ich hatte jedes Fach und jede Lücke vollgestopft. Ich schob die Tasche über den Rand und hoffte, dass sie nicht allzu viel Lärm machen würde, wenn sie auf dem Boden landete.
»Auf Wiedersehen, mein Schatz«, sagte Großmutter, als die Ashtons vorfuhren. Ich war überrascht, dass niemand fragte, warum ich nicht zu Fuß ging, wie ich es schon Hunderte Male zuvor getan hatte.
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